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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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außerdem waren wir schmutzig und unrasiert, so daß es nicht verwunderlich war, daß die Leute uns anstarrten. Aber es entsetzte mich ein wenig und brachte mir zum Bewußtsein, daß während der letzten drei Monate einige eigentümliche Dinge geschehen waren.
    Während der nächsten Tage entdeckte ich an zahllosen Anzeichen, daß mein erster Eindruck durchaus nicht falsch gewesen war.
    Ein einschneidender Wechsel war über die Stadt gekommen. Zwei Tatsachen boten den Schlüssel für alles andere. Einmal hatten die Leute – also die Zivilbevölkerung – sehr viel von ihrem Interesse am Krieg verloren; zum zweiten behauptete sich wieder die normale Unterscheidung der Gesellschaft in reich und arm, Ober- und Unterklasse.
    Die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber dem Krieg war überraschend und ziemlich widerwärtig. Das erschreckte auch die Leute, die von Madrid oder sogar von Valencia nach Barcelona kamen. Zum Teil mochte es damit zusammenhängen, daß Barcelona von den wirklichen Kämpfen so weit entfernt war. Ich beobachtete einige Monate später das gleiche in Tarragona, wo das normale Leben eines angenehmen Badeortes nahezu ungestört weitergeführt wurde. Aber es war bezeichnend, daß sich etwa seit Januar der freiwillige Zugang zur Armee in ganz Spanien verringert hatte. Im Februar erlebte Katalonien eine Welle der Begeisterung für die erste große Werbung der Volksarmee. Aber sie führte nicht zu einem großen Zuwachs bei der Rekrutierung. Der Krieg dauerte gerade ungefähr sechs Monate, als die spanische Regierung Zuflucht zur Zwangsaushebung nehmen mußte. Im Krieg mit einem anderen Land mag das natürlich hingehen, aber in einem Bürgerkrieg erscheint es mir ungewöhnlich. Ohne Zweifel hing es zusammen mit der Enttäuschung der revolutionären Hoffnungen, mit denen der Krieg begonnen hatte. Während der ersten Kriegswochen hatten die Gewerkschaftsmitglieder sich vor allem deshalb zu Milizen zusammengeschlossen und die Faschisten nach Saragossa zurückgetrieben, weil sie glaubten, selbst für die Kontrolle durch die Arbeiterklasse zu kämpfen. Aber es wurde immer deutlicher, daß die Kontrolle durch die Arbeiterklasse eine verlorene Sache war. So konnte man die einfachen Leute, besonders das Proletariat in der Stadt, die in jedem Krieg, ob Bürgerkrieg oder Nationalkrieg, herhalten müssen, nicht für eine gewisse Gleichgültigkeit kritisieren. Niemand wollte den Krieg verlieren, aber die Mehrheit wünschte vor allem, daß er zu Ende gehe. Wohin man auch ging, konnte man das bemerken. Überall hörte man die gleiche oberflächliche Bemerkung: »Dieser Krieg – furchtbar, nicht wahr? Wann geht er zu Ende?« Politisch interessierte Menschen wußten weit mehr über die mörderische Auseinandersetzung zwischen Anarchisten und Kommunisten als über den Kampf gegen Franco. Für die Masse der Bevölkerung war das wichtigste der Mangel an Nahrungsmitteln. Unter »der Front« stellte man sich allmählich einen sagenhaften, weit entfernten Raum vor, wohin junge Männer entschwanden und entweder nicht oder aber nach drei oder vier Monaten mit großen Summen Geld in der Tasche zurückkehrten. (Ein Milizsoldat erhielt gewöhnlich seine ausstehende Löhnung, wenn er auf Urlaub ging.) Den Verwundeten, selbst wenn sie auf Krücken humpelten, schenkte man keine besondere Beachtung. Es war nicht mehr fein, der Miliz anzugehören. Das zeigte sich besonders deutlich in den Läden, die immer ein Barometer des öffentlichen Geschmacks sind. Als ich zum erstenmal nach Barcelona kam, hatten sich die Läden trotz deren Armut und Schäbigkeit auf die Ausrüstung der Milizsoldaten spezialisiert. In allen Schaufenstern lagen Feldmützen, Windjacken, Sam-Browne-Koppel, Jagdmesser, Wasserflaschen und Revolverhalter. Jetzt waren die Geschäfte bedeutend vornehmer, aber der Krieg war aus den Auslagen verdrängt worden.
    Als ich später meine Ausrüstung kaufte, bevor ich an die Front zurückging, entdeckte ich sogar, daß bestimmte Dinge, die an der Front dringend gebraucht wurden, nur sehr schwer zu beschaffen waren.
    Inzwischen wurde eine systematische Propaganda gegen die Parteimiliz und für die Volksarmee betrieben. Die Verhältnisse waren hier recht merkwürdig. Seit Februar waren theoretisch die gesamten Streitkräfte in die Volksarmee übergeführt worden. Auf dem Papier waren die Milizen nach dem Muster der Volksarmee umgebildet worden, also mit unterschiedlichen Löhnen, amtlich veröffentlichten Dienstgraden und so weiter.

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