Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
zu ihr hat: Er kann sagen, wie es ihm geht, und diejenigen, die er deswegen um Rat fragt, sollten zuhören und ihm oder ihr Glauben schenken. Denn Menschen, die etwas haben, was keiner versteht, fühlen sich nicht selten als Simulanten verdächtigt oder vermuten selbst, sie wären nicht ganz normal im Kopf.
Man nennt die psychosomatischen Störungen auch funktionell. Damit ist gemeint, dass körperliche Funktionen gestört sind – in den körperlichen Strukturen ist nichts kaputt, worüber man sich schon mal freuen kann. Aber dem betroffenen Menschen geht es schlecht.
Es stimmt zwar, dass eine funktionelle Störung einen Menschen nicht umbringt, wenigstens nicht gleich – weshalb sich die Medizin lange Zeit nicht damit abgeben mochte. Sie zerstört aber längerfristig die Lebensfreude, das Wohlbefinden, die Schaffenskraft, die Lust am Dasein – weshalb es sehr wichtig ist, sich mit ihr zu befassen, zumindest für die, die davon betroffen sind, und das ist meist auch das soziale und familiäre Umfeld.
Wenn man eine Sache nicht dinglich zu fassen kriegt, wenn es auf die Frage: Eine psychosomatische Störung – Was ist das? keine vernünftige Antwort gibt, wenn man allenfalls sagen kann, was sie nicht ist: nämlich nicht organbedingt, dann sollte man die Frage anders stellen. Dann ist es am besten zu fragen, welchen Sinn, welche Funktion sie hat, und schon wird die Angelegenheit einfach und durchsichtig: Eine funktionelle bzw. psychosomatische Störung hat den Sinn bzw. die Funktion, den Menschen, der sie hat, zu stören . Sie erzwingt Aufmerksamkeit. Sie sagt: Schau her, hier stimmt etwas nicht!
2.Was wollen die Symptome sagen – und zu wem?
Psychosomatische Symptome finden im Körper statt, der Körper ist ihr Austragungsort, man könnte auch sagen, die Bühne, auf der die Störung sich zeigt. Ihr Regisseur ist die Psyche. Ihr Adressat ist die Person, die in dem Körper wohnt. Sie ist angesprochen, sie soll hören, verstehen und antworten. Das mutet zunächst einmal seltsam an, weil wir denken, wir seien eine Einheit – manche sagen Ganzheit –, ein Individuum, was so viel heißt wie: unteilbar.
Das trifft zu, solang alles in Ordnung ist. Dann nämlich spielen alle Funktionen – es sind unendlich viele – in einem komplexen Netzwerk zusammen, und es stellt sich gar nicht die Frage: wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Das nennt man Gesundheit – wenn alles in Ordnung ist –, ein Wohlbefinden, das sich nicht durch eine »laute« Symptomatik kundtut, sondern einen unauffällig begleitet und tun lässt, was man möchte, weshalb der große Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer (1993, S. 144) von der »Verborgenheit« der Gesundheit gesprochen hat. »Trotz aller Verborgenheit kommt sie aber in einer Art Wohlgefühl zutage, und mehr noch darin, dass wir vor lauter Wohlgefühl unternehmungsfreudig, erkenntnisoffen und selbstvergessen sind und selbst Strapazen und Anstrengungen kaum spüren – das ist Gesundheit.«
Gesundheit könnte man auch vergleichen mit einem sehr großen Orchester, das scheinbar mühelos oder gar virtuos seine Musik spielt. Man hört sie, aber ihre »Herstellung« ist gewissermaßen verborgen – sie gelingt nur im Zusammenspiel. Auch bei einem Orchester spricht man von einem Klang- Körper . Da sind die einzelnen Stimmen aufeinander bezogen, kommunizieren miteinander, stimmen sich miteinander ab – ein Spiel eben.
Wenn da einmal ein einzelnes Instrument, nehmen wir an, die Flöte, im Tempo nicht mehr mitkommt oder falsche Töne spielt oder nicht mehr weiß, wo die Musik spielt, und einfach mal aussetzt, dann bemerkt man das vielleicht gar nicht – die Flöte setzt ein bisschen später wieder ein und alles geht weiter. Oder aber das ganze instrumentale Umfeld erschrickt, kippt weg, hört auf zu spielen, und, wenn das ein gewisses Ausmaß erreicht, dann muss abgeklopft und neu eingesetzt werden.
Ähnlich ist es im Körper des Menschen: Das geglückte Zusammenspiel von Zellen, Organen, Muskeln, Hormonen vermittelt uns das Gefühl von ungestörter Einheit. Wenn aber eine Funktion gestört ist, dann sagen wir: Mein Rücken oder mein Kopf tut mir weh. Meine Beine tragen mich nicht, wohin ich gehen will. Mein Gehirn gehorcht mir nicht – es rückt den Namen nicht heraus, den ich gerade brauche. Meine Schulter verweigert mir das Fensterputzen, obwohl es doch so nötig wäre.
Dann spürt man, dass man einen Rücken, einen Kopf, Arme und Beine hat . Da sind wir plötzlich zu zweit:
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