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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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aufzudecken, in seine uralten Quellen zu tauchen und die Energie seines geheimen, feurigen Herzens in die Pflicht zu nehmen. Vielleicht betrachtete der Mars die Humanisten als die perfekte Ergänzung für die Trostlosigkeit seiner toten Flüsse, Täler und Gipfel. Die beiden verdienen einander. Armer Seti, das hast du nie begriffen, oder? Ich auch nicht, bis es zu spät war. Ja. Es war der Mars, Svengali Mars, der mich lenkte und in Frontera zu seinem Werkzeug machte. Es war der Mars, der die klügsten Köpfe beschämte, die Idealisten verhöhnte, die Gerechten korrumpierte und die Wahrheit verdorren ließ. Hochfahrender, geheimnisvoller, böser Mars, du bist ein verschlagener Gegner gewesen. Du hast mich gelehrt, daß auch Planeten ihr eigenes Schicksal gestalten und uns ihrem Willen unterwerfen. Deine Grausamkeit ist so gewaltig, daß ich Mitleid für jene empfinde, die in der Hoffnung auf ein besseres Los zu deinen Minen strömten. Ich meine jene aus der Leistungsgesellschaft hinausgedrängten Gebieter, die ihre Positionen im Mittleren Management auf der Erde an die Androiden der 9. Generation abtreten mußten und nach Frontera auswanderten, getrieben von der verzweifelten Vision raschen Erfolgs und reicher Gewinne – dein grausamster Trick, denn den meisten war kein Glück beschieden, und sie endeten als Pöbel.
    (Achtung, Achtung! Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Wir beginnen den Wiedereinstieg in die Handlung. Während der Landungsphase durchfliegen wir einige Wolken aus erklärendem Material, also erschrecken Sie nicht. Voraussichtliche Ankunftszeit in Buch drei ist mehr oder weniger Kapitel vier, obwohl es infolge starken Plotaufkommens über Frontera zu Verzögerungen kommen kann. Wir werden uns bemühen, Sie so schnell wie möglich und in chronologischer Reihenfolge ans Ziel zu bringen. Temperatur in Kommerz gleichbleibend 22 Grad Celsius. Luftfeuchtigkeit 25%. Trübsalindex 93%. Bitte löschen Sie alle Wunschträume und schnallen Sie sich an. Im Namen des Autors danke ich Ihnen für die Teilnahme an diesem Gedankenflug. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen, und Sie werden sich wieder mit uns emporschwingen.)
    Kommerz war eine Stadt nach deinem Herzen, Mars. Eine glanzvolle Metropole in vieler Hinsicht, berühmt für ihre Oper und das Symphonieorchester, für ihre Konsumtempel, phantastischen Spiraltürme und exklusiven Kondoviertel, die in einem rosiggoldenen Schimmer unter der himmelhohen Biokuppel lagen – eine Stadt in voller Blüte, dank der produktiven Minen im fernen Shuttlesburg, Viking, New Orlando und ReBotswana. Doch es war auch eine Stadt, wo sich in den unterirdischen Grotten und auf den Fußsteigen dicht an dicht die Zelte und Hütten der Besitzlosen reihten. Eine Stadt, die glaubte, daß Fortschritt sich nur durch gnadenlosen Wettbewerb erreichen ließ, und deshalb füllten sich die Grotten mit Boulevards und Kaufhäusern und Konsumentenscharen, und die Türme an der Oberfläche schraubten sich immer höher, um der unbequemen Mahnung der Besitzlosen unten zu entkommen, denen es überlassen blieb, ihre Wut an dem Androiden auszulassen, eine Wut, die dem gedankenlosen Sadismus der oberen Klassen entsprach. Hoch über diesem Dschungel hingen die purpurgelben Nachtlichter und Überwachungskameras von der Unterseite der gewaltigen Biokuppel herab – deine bösen Augen, Mars, du kannst sie in der stickigen Luft blinzeln seh'n. Dachten daran die Leute, wenn sie von der Wiedergeburt des Mars als der größten Errungenschaft des 21. Jahrhunderts schwärmten? Du wärst besser tot geblieben, als eine solche Renaissance zu erleben.
    Doch solche subversive Gedanken kannte die First Lady nicht. Sie war darauf programmiert, nichts wahrzunehmen. Sie bewegte sich durch die Metropole mit dem unbekümmerten Talent, das Unübersehbare nicht zu sehen, wie alle Angehörigen ihrer Klasse. Der Pöbel – wenn ihre von einem Chauffeur gelenkte Limousine tief genug in die Häuserschluchten tauchte – sollte sich gefälligst ducken, und er duckte sich. Und liebte sie dafür! (Jedenfalls wurde sie von so vielen geliebt, daß sie sich ihre Arroganz leisten konnte.) Warum? Weil die Besitzlosen, die Bedürftigen, die Ausgestoßenen, die Versager tief im Herzen ihre Ansichten teilten und ein stellvertretendes Vergnügen an ihrer Rolle empfanden. Sie hungerten und klatschen ihr Beifall; sie zogen die Köpfe ein, um, von ihrer Limousine nicht enthauptet zu werden, und winkten ihr in stupider Bewunderung zu, und während sie

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