Mein Leben als Superagent
vor. Als meine Eltern sich ein Stück weiter zu einem Stand mit Töpferwaren bewegen, folge ich ihnen. Ich werfe einen letzten Blick zurück zu Lauren Hutchins, aber sie ist damit beschäftigt, einer älteren Frau ein Armband anzulegen, und schaut nicht hoch.
Als wir wieder im Auto sitzen, lässt Dad meine Mutter den weichen Ledereinband der neuen Skizzenblöcke fühlen, die er für sich und mich gekauft hat. Ich sitze hinten und könnte mir in den Hintern treten, weil ich meine große Chance, mit Lauren zu sprechen, einfach so vertan habe. Dann kratze ich all meinen Mut zusammen und präsentiere meinen Eltern eine glatte Lüge.
»Ich hab mein Buch da drin vergessen.«
»Du hattest es mit reingenommen?«, fragt Mom.
»Ja, und ich hab es auf einem Tisch liegen lassen. Bin gleich wieder da.« Ich springe aus dem Auto und bete um eine letzte Chance, Laurens Geschichte aus erster Hand zu erfahren.
Die Wahrheit ist immer anders, als man denkt
Lauren sitzt auf einem Hocker und liest. Ich hole tief Luft und nähere mich ihrem Stand.
»Ich hab Ihre Beiträge auf Susan James’ Website gelesen«, sage ich.
Sie legt den Kopf schief. »Was? Du kennst Susan?«
Ich stehe da und warte darauf, dass die Worte irgendwie aus mir herauskommen. »Ich war mit am Strand, als sie gestorben ist«, sage ich schließlich.
herauskommen
Lauren legt ihr Buch weg und steht auf. »Wie alt bist du?« Sie berührt mein Haar, als wäre ich ein Alien.
»Zwölf«, antworte ich.
»Das kommt hin.« Sie schaut mir in die Augen, als versuche sie das Bild von dem Jungen damals aus dem geistigen Hut zu zaubern. »Das war der schlimmste Tag meines Lebens. Susan war meine beste Freundin.«
aus dem Hut zaubern
Und dann fällt bei ihr der Groschen. »Dann hast du mich online aufgestöbert oder wie?«
Ich erzähle ihr, dass ich erst neulich den Artikel über das ertrunkene Mädchen gefunden habe und dass meine Mutter mir berichtet hat, was sie darüber weiß, ich aber mehr erfahren will.
»Sie müssen mir nichts erzählen, wenn das zu schmerzlich für Sie ist«, sage ich. Mag ja sein, dass ich alles erfahren möchte, aber für Lauren könnte es schwer sein – vielleicht so schwer, wie ich es Mom schon denganzen Sommer über mache. Der Gedanke an Mom erinnert mich daran, dass ich höchstens noch ein paar Minuten habe, bevor meine Eltern mich suchen kommen. Schnell, Lauren!
Sie zwirbelt an ihren Haarspitzen herum, während sie erzählt. »Du musst bedenken, dass Susan damals erst ein Teenager war, bloß ein paar Jahre älter als du jetzt. Sie war in diesen Typ verknallt, Tim Jensen hieß er. Er hat sie nicht mal wahrgenommen, aber sie redete ununterbrochen nur von ihm. Sie wollte an dem Tag, dass ich mit zum Strand komme, wo er auch sein würde. Als ich da ankam, konnte ich es nicht fassen, dass sie ein Kleinkind dabeihatte!«
Ich zeige auf mich und Lauren nickt.
»Sie hatte nie was erzählt, dass sie als Babysitterin arbeitet oder so, undder Teil des Strandes ist für kleine Kinder echt nicht geeignet, schon gar nicht nach einem Sturm. Aber als Tim und seine Freunde eintrafen, hatte Susan leider keinen Blick mehr für dich übrig.« Lauren steht auf, um einem Mann behilflich zu sein, der eine Haarspange für seine Frau sucht. Die dunkle Vorahnung, meine Eltern könnten jeden Moment reinkommen, lässt meinen Kopf beinahe explodieren.
dunkle Vorahnung
»Ich hab mit dir im Sand gespielt«, fährt Lauren fort. »Du warst wirklich ein furchtloser kleiner Junge.« Ihre Augen verdunkeln sich und sie lehnt sich auf ihrem Hocker zurück. »Als ich mich umgeschaut habe, war Susan schon mit Tim und seinen Kumpels im Wasser. Ich meine, sie hat dich einfach alleingelassen.«
furchtlos
Gerade als ich schon das Gefühl habe, gleich zu platzen, wenn ich nichtaugenblicklich den Rest der Geschichte höre, räuspert sich jemand hinter meinem Rücken. Meine Eltern und Bodi stehen hinter mir an Laurens Stand.
Bevor sie mich fragen können, warum ich ihnen die Lüge mit dem Buch aufgetischt habe, stelle ich ihnen Lauren Hutchins vor. »Sie war Susans beste Freundin«, erkläre ich. »Und sie war an dem Unglückstag mit am Strand.«
Meine Mutter sieht aus, als hätte sie jemand mit einem Holzhammer geschlagen. Ich weiß, wenn wir hier raus sind, kriege ich die größte Portion Levitenlesen ab, die ich mir nur vorstellen kann.
Portion
»Du und ich, wir haben am Strand Muscheln gesucht, während Susan und Tim einen Spaziergang machten«, erzählt Lauren
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