Mein Leben als Superagent
das Gefühl, auf einer Insel zu sein. Bauernhöfe, alte Steinmauern, haufenweise knorrige Bäume schieben sich an uns vorbei. Hier erinnert wirklich nichts an Kalifornien. Der öffentliche Strand ist vollgepackt mit Autos, die laut Nummernschild aus so ziemlich jedem Bundesstaat Amerikas stammen, aber meine Mutter kennt eine versteckte kleine Bucht, also lassen wir die Menschenmassen links liegen und fahren ein Stück weiter nach Süden.
Dann fällt mein Blick plötzlich auf eine große Scheune, an der ein Schild mit der Aufschrift CHILMARK ARTISTS prangt – das ist die Galerie, in der Lauren Hutchins ihren Schmuck verkauft!
»HALT!«, brülle ich.
Dad bleibt mit quietschenden Reifen stehen und sagt, ich hätte ihm eben fast einen Herzinfarkt beschert. Ich zeige auf das Holzschild. »Ich hab mich verlesen. Ich dachte, da stünde Selbst gemachtes Eis.«
Dad schüttelt traurig den Kopf. »Ich fürchte, das Lern-Camp hat deine Lesefähigkeiten nicht mal ansatzweise verbessert.«
»Lasst uns doch einen Blick da reinwerfen, wenn wir schon mal hier sind.« Mom schnappt sich ihre Handtasche, steigt aus und geht über die Straße.
Ich freu mich total, schlottere aber auch vor Angst. Was, wenn Lauren Hutchins heute gar nicht da ist? Oder schlimmer noch – was, wenn sie doch da ist, in mir den Jungen erkennt, der ihre beste Freundin umgebracht hat, und komplett durchdreht? Odernoch schlimmer – was, wenn überhaupt nichts passiert und ich mir den ganzen Sommer lang einen Kopf gemacht hab wegen Sachen, die vollkommen unwichtig sind?
vor Angst schlottern
Als wir uns der Galeriescheune nähern, wünschte ich, ich wäre ganz woanders und täte was ganz anderes – meinetwegen sogar lesen. Ich lege Bodi die Leine an und nehme ihn mit, als Glücksbringer.
Sprachlos
Während Dad sich ein paar ledergebundene Notizblöcke anschaut, probiert Mom handgestrickte Wolljacken an. Leise schiebe ich mich von einem Stand zum anderen, bis ich das Schild »Hutchins Designs« sehe. Ich ziehe Bodi hinter einen hohen, aus Zweigen geflochtenen CD-Ständer und beobachte Lauren Hutchins erst mal eine Weile. Sie hat lange braune Dreadlocks, die sie mit einem großen Webtuch zusammengebunden hat. Dazu trägt sie eine Yoga-Hose und ein Batik-Kapuzenshirt. An ihren Ohrringen glänzen Federn undwinzige silberne Perlen, und mehrere Variationen dieser Schmuckstücke sind auch in dem Glaskasten vor ihr ausgestellt. Noch bevor ich mir irgendwas einfallen lassen kann, fällt ihr Blick auf Bodi.
Wolle
Dreadlocks
»Hey, Kumpel, komm mal her.« Sie beugt sich runter und winkt Bodi zu sich, und natürlich geht der Hund sofort zu ihr. Wenn ich mal vom Mädchen-sind-doof-Stadium ins Mädchen-sind-sexy-Stadium wechsle – also so in zwanzig bis dreißig Jahren –, werde ich bei Bodi Unterricht nehmen. Dieser Hund wickelt mehr hübsche Frauen um die kleine Kralle als jeder noch so schicke Fernseharzt.
»Wie heißt er denn?«, fragt Lauren.
»Bodi.«
Sie krault Bodi weiter am Kopf, dann schaut sie zu mir hoch. »Suchst du ein Geschenk für deine Freundin?«
Ihre bescheuerte Frage trägt nicht gerade dazu bei, meine Nervosität runterzufahren, im Gegenteil. Ich sage Nein und tue so, als würde ich den Schmuck betrachten. Ich nehme ein ledernes Halsband mit Muscheln und Federn in die Hand.
»Federn bringen Glück, wusstest du das? Vögel wurden früher als Botschafter der Götter angesehen.«
Botschafter
Ich bringe kein sinnvolles Wort raus. Als Lauren auf mein T-Shirt zeigt und fragt, ob ich gerne Skateboard fahre, kriege ich es gerade mal hin, zu nicken. Und um die Sache noch zu verschlimmern, kommt mein Vater jetzt an und mustert schweigend Laurens Produkte, als wäre er Schmuckexperte oder so. Bitte geh weg, würde ich am liebsten sagen. Das hier ist schon kompliziert genug. Aber nein, zu allem Überfluss kommt jetzt auch noch Mom hinzu.
kompliziert
»Na, habt ihr eine neue Freundin gefunden, Bodi und du?« Meine Mutter lächelt Lauren an und schaut sich ihr Warenangebot an.
Warenangebot
Am liebsten würde ich mich unter einer der Webdecken vom Stand nebenan verkriechen, bis die Ferien vorbei sind. Lauren schaut leicht verwirrt zwischen uns hin und her, als versuche sie herauszufinden, wer wir sind und was wir wollen. Ich hab Ihren Gästebucheintrag gelesen, würde ich gern sagen. Wir waren beide dabei, als Susan James gestorben ist. Aber auf einmal kommt mir mein Plan, das Geheimnis dieses Sommers aufzuklären, wie ein riesengroßer Fehler
Weitere Kostenlose Bücher