Mein Leben im Schrebergarten
Frauen geheiratet hätten.
Mir schien diese Geschichte nahe an der Wahrheit zu sein. Was macht einer im Westen, wenn er nicht mehr zu arbeiten braucht, die Frau alt und die Kinder erwachsen und weg sind? Er wird Bergsteiger. Er kauft ganz viel Ausrüstung, bucht im Internet einen Trip in den Kaukasus und bleibt dort hängen. Mein ehemaliger Nachbar in Berlin wurde vor vier Jahren einmal von ein paar alten Freunden zum Fischen nach Kroatien eingeladen. Seine Frau half ihm, die Tasche zu packen. Er fischt immer noch. In Russland sind die Frauen vorsichtiger, sie fahren zum Fischen immer mit.
Auch diesmal holte uns Georgij Ivanowitsch mit seinem Opel vom Flughafen ab. Vieles an seinem Haus hatte sich geändert. Sie hatten in den vergangenen zehn Jahren ein zwanzig Meter langes Stück Straße vor dem Haus asphaltiert und den Swimmingpool zu Ende gebaut. Sie hatten sogar Delphine auf den Boden des Swimmingpools gemalt, die leider wegen des grünlichen, undurchsichtigen Wassers nicht zu sehen waren. Und sie hatten den Pool mit einem Sprungbrett ausgestattet, obwohl nur den Kindern das Springen erlaubt war. Sprang nämlich ein Erwachsener, ergoss sich jedes Mal ein kleiner Tsunami über das Grundstück des Nachbarn, dessen Garten gleich neben dem Pool, aber viel tiefer als dieser lag – eine Panne, die den Nachbarn auf die Palme trieb. Auf dem Grundstück der Nachbarn saßen nämlich kleine Küken direkt neben unserem Schwimmbad, die nicht nass werden durften. Onkel Georgij kämpfte dafür, dass die Küken zwanzig Meter weiter umgesiedelt wurden.
Zu seinen weiteren Errungenschaften zählte eine selbst gebaute Holzsauna mit einer Gasheizung, die innerhalb von Sekunden einen rohen Menschen in ein gut durchgebratenes Steak verwandeln konnte. Ferner eine Orangerie mit künstlicher Sonne, die bereits in Betrieb war. Außerdem hatte Onkel Georgij seinen grünen Opel Vectra, einen alten Fehlkauf, mit richtig großen Rädern ausgerüstet, so dass er damit über jede Piste fahren konnte. Onkel Georgij besaß einen Laden an der Landstraße, in dem er Lebensmittel und Baumaterialien verkaufte. Dazu baute er noch eine Kantine, die wegen der hohen Qualität des Essens und der niedrigen Preise in der Umgebung schnell sehr beliebt war. Sie galt als eine Art Geheimtipp unter den Einheimischen. Weizenbauern, Polizeiposten und Verwaltungsbeamte aus den nahe liegenden Dörfern aßen dort zu Mittag.
Natalia, die Frau von Onkel Georgij, kochte in der Kantine. Die jüngere Cousine Tatjana hatte inzwischen einen Alexej aus der Stadt geheiratet. Sie hatten eine für russische Verhältnisse bilderbuchmäßige Beziehung hinter sich. Die beiden hatten sich in einer Disko in Patigorsk kennengelernt. Sie hat dann zwei Jahre auf ihn warten müssen, während er seinen Dienst in der Armee absolvierte. Der Armeedienst ist in Russland nicht nur eine Schule des Erwachsenwerdens, er ist auch traditionell eine Prüfung für die erste Liebe. Wenn eine Braut es schafft, zwei Jahre lang auf den Soldaten zu warten, ist sie die Richtige – dann soll er sie auch heiraten; wenn sie aber mit einem anderen ausgeht, soll der Soldat seine Verlobte umbringen. So will es die Soldatenfolklore.
Alexej, der frischgebackene Ehemann von Tatjana, arbeitete tagsüber im Geschäft von Onkel Georgij, und abends fischte er leidenschaftlich am Teich. Tatjana war im sechsten Monat schwanger. Für ihre ältere Schwester war diese glückliche Ehe eine Katastrophe. Eine jüngere verheiratete Schwester zu haben verletzte ihren Status. Sie machte die Buchhaltung für alle Geschäfte ihres Vaters. Meine Schwiegermutter kochte für alle und hatte die Gartenarbeit übernommen. Außerdem gehörten zur Familie noch zwei Hunde, darunter der große Wachhund Mischa, der mit allen anderen Hunden des Dorfes im Clinch lag und deswegen aussah, als sei er gerade in der letzten Sekunde einem Fleischwolf entsprungen. Dazu gab es noch drei Katzen.
Auch der Kater Wasja erinnerte stark an den Terminator kurz vor seiner endgültigen Auslöschung: Ihm fehlten ein Auge und viele Zähne, sein Fell war nur noch teilweise vorhanden, und sein leicht schaukelnder Gang deutete darauf hin, dass jeder Schritt sein letzter in diesem irdischen Garten sein konnte. In Wirklichkeit ging es Wasja jedoch weitaus besser, als es aussah. Er war siebzehn Jahre alt, der älteste Kater im Dorf, und dementsprechend Vater von jeder anderen Katze dort. Wasja kannte kein Futter aus der Dose, er ernährte sich wie in alten
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