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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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umkehren. In der Dunkelheit wusste man sehr schnell nicht mehr, wo vorne und hinten war. Die Feuerzeuge gingen aus, und eisiger Schleim hing an den Augen und der Nase. Wir machten ein Foto vom Eingang und noch eins im Restaurant des Waldwächters, in dem wir unsere Begegnung mit der Höhle des Eiszeitmenschen feierten.
    Am gleichen Abend wurde meine Tochter von einer riesengroßen Mücke ins Auge gestochen, und mein Sohn wurde Augenzeuge, wie ein Huhn ein Ei legte, was wohl endgültig die Frage der korrekten Reihenfolge – Ei oder Huhn – für ihn klärte. Als wären all diese Abenteuer noch nicht genug, durften wir am letzten Tag auch noch einen Brand erleben und uns heroisch an seiner Auslöschung beteiligen.
    Seit Tagen hatten die Jungs aus Borodinowka trockenes Gras hinter der Steppenpiste angezündet. Die Flammen stiegen immer wieder hoch, bewegten sich mit Furcht erregender Geschwindigkeit auf dem großen Feld zwischen uns und dem Dorf hin und her, überschritten aber nie den so genannten Panamakanal – einen mit Wasser und Müll gefüllten Graben, der zwischen dem Kern von Borodinowka und der Steppenpiste lag. Am Tag unserer Abreise qualmte es aber deutlich stärker als zuvor. Der Wind wehte Richtung Borodinowka, und die Flammen kamen den Häusern im Dorf bereits gefährlich nahe. Eine Holzdeponie und eine Laube am Ortsrand brannten ab. Die Bewohner der Steppenpiste betrachteten das mit einer gewissen Genugtuung. Immerhin waren es Borodinowka-Jungs, die das Gras verbrannten. Dann aber wechselte die Windrichtung, das Feuer sprang über den ausgetrockneten Panamakanal, und schon bald standen die Flammen vor unserem Garten. Ich schlug meiner Schwiegermutter vor, die Feuerwehr zu rufen. Aber sie stellte sich plötzlich zickig an.
    »Warum sollen immer wir anrufen, sollen doch die Muchins auch einmal anrufen. Die Flammen sind ihrem Garten näher als unserem, sie brennen doch als Erstes ab«, antwortete sie.
    Der Nachbar Muchin war aber anderer Meinung. So standen sie am Gartenzaun und stritten darüber, wer als Erster die Feuerwehr rufen sollte. Nachbarn sind wie Verwandte, man schimpft aufeinander, hält aber trotzdem zusammen. Alle Nachbarn standen Schulter an Schulter, als die Stunde geschlagen hatte. Sogar der autistische Sohn der Muchins, der sonst nie auf die Straße ging, half beim Löschen, ebenso der Bienenzüchter Juri, der eigentlich wegen seines Rheumas ans Bett gefesselt war. Sie verbanden sogar ihre Wasserschläuche, um weitere Flächen begießen zu können. Auch meine Kinder rannten hin und her und bekämpften das Feuer mit kleinen Plastikschüsseln. Noch mehr begossen sie aber sich selbst. Die Feuerwehr kam nicht, dafür aber das regionale Fernsehen, das unseren Kampf gegen das Feuer filmte. Die ganze Steppenpiste stand wie ein Mann. Vor diesem Zusammenhalt konnte der Brand nicht lange bestehen und gab auf. Bald qualmte es nur noch an den Ecken. Außer ein paar Angeln, die am Teich vergessen worden waren, und zwei abgesägten Ästen vom Aprikosenbaum, die ich zu Grillkohle hatte verarbeiten wollen, war nichts verbrannt. Und das Gras wird nun, nach dem Feuer, noch besser wachsen, meinte Onkel Georgij, der allen anbot, diesen historischen Sieg über das Feuer bei ihm im Hof zu feiern, noch bevor wir mit dem Brand wirklich fertig waren. Das regionale Fernsehen filmte unsere mit Ruß verschmierten Gesichter für die Abendnachrichten. Ich fühlte mich wie ein Stahlkocher aus den Dreißigerjahren. »Niemand kann unsere Bürger besiegen, außer sie selbst«, sagte die Moderatorin und verschwand. Sofort entbrannte ein Streit unter den Nachbarn, wer wie viel für das Wasser zahlen musste, da sie einen gemeinsamen Wasserzähler hatten. Wir hätten gern bei diesem Streit mitgemacht, aber unsere Maschine startete in einer Stunde.
    Onkel Georgij telefonierte mit dem Flughafen: »Halten Sie die Maschine an, wir kommen von einem Brand!«
    Tatsächlich sahen wir wie abgebrannt aus. Ich hatte noch eine Woche danach schwarze Sohlen. Besonders fasziniert von diesem letzten Ereignis war mein Sohn Sebastian, der sowieso Feuerwehrmann werden wollte. Onkel Georgij versprach ihm zum Abschied, wenn er nächstes Jahr wiederkäme, extra nur für ihn beide Nachbarhäuser anzuzünden.
    Während wir uns dermaßen wild im kaukasischen Garten amüsierten, sammelte unser Freund Thomas auf der heimischen Berliner Parzelle 118 sieben Komma fünf Kilo Sauerkirschen, einen ganzen Eimer, und brachte ihn zu meiner Mutter. Sie

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