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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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um sein Gehege standen die jungen Bewohner der Stadt und betrachteten es aufmerksam. Uns fiel dabei auf, dass jeder zweite Hosen und T-Shirts trug, auf denen in großen Buchstaben »D&G« oder »Gucci« oder ganz etwas Ausgefallenes wie »Chanel N°5« stand. Jetzt wurde uns klar, was die Cousinen in ihren Briefen gemeint hatten: Der ganze Nordkaukasus trug nur italienische und französische Modeartikel aus heimischer Produktion, wobei die Markennamen manchmal falsch geschrieben waren. Sogar Gummistiefel von italienischen Modedesignern entdeckten wir. Meine Frau und ich fanden das abgefahren und lachten darüber.
    Zu unserem Empfang hatte die Verwandtschaft eine große Party im Garten organisiert und dazu die ganze Steppenpiste eingeladen. Nachdem zwei Fässer des selbst gemachten Weins geleert waren, wollte Georgij Ivanowitsch wissen, was wir an der kaukasischen Mode so komisch fanden.
    »Im Westen sind es die teuersten Modemarken, und hier laufen sogar die Kühe mit Calvin Klein durch die Gegend«, erklärten wir ihm. »Wer macht sich nur die Mühe, auf diese ganzen selbst gestrickten Klamotten Modelabels zu nähen? Und wozu? Man sieht doch sofort, dass sie nicht echt sind.«
    »Woher wollt ihr wissen, dass unser Calvin falsch und eurer echt ist?«, philosophierte der Onkel. »Unser Calvin ist sehr gut, er ist die beste Heimatmarke, die es im ganzen Kaukasus gibt. Ich weiß nicht, wie eure Calvin-Klein-Sachen sind, aber unsere halten ewig. Meine Stiefel zum Beispiel sind auch von Calvin Klein. Mit denen gehe ich auf den Bau, mische Zement, laufe durch jeden Matsch und Dreck. Drei Jahre habe ich sie schon, und sie sind immer noch wie neu.«
    Die anderen Gäste gaben dem Onkel Recht. Wir widersprachen nicht und tranken fleißig weiter mit unseren Gastgebern: auf die internationale Freundschaft, auf den Frieden auf Erden und auf die nordkaukasische Qualitätsware von Hugo Boss und Calvin Klein. Wir erwarben sogar selbst einige Sachen. Ich Schuhe und Weste, meine Frau ein paar Stiefel und ein Kleid. Tatsächlich, die Sachen hielten ewig.
    Inzwischen waren zehn Jahre vergangen. Der direkte Flug Berlin – Mineralnie Vodi war wie gesagt längst gestrichen, angeblich, weil es zu wenig Bergsteiger in Berlin gibt. Mich wunderte das nicht: Berlin ist, abgesehen von den vielen Joggern, eine ziemlich unsportliche Kneipenstadt. Für die Zeit unserer Abwesenheit haben wir unseren alten Freund Thomas beauftragt, sich um unsere Katzen und vor allem um den Schrebergarten kümmern. Er sollte die Kirschen ernten und sie zwecks Verarbeitung an meine Mutter weiterleiten. Meine Mutter hatte sich bereit erklärt, mit den Kirschen aus unserem Garten meine Lieblingskonfitüre zu kochen. »Ich bin doch in einem Schrebergarten groß geworden, so ein Garten ist doch das Schönste, was es gibt!«, freute sich Thomas. Wir beeilten uns, ihm die Schlüssel vom Gartentor in die Hand zu drücken, bevor seine Kindheitserinnerungen erloschen, und flogen nach Mineralnie Vodi, mit einmal Umsteigen in St. Petersburg.
    Mit uns flog eine Gruppe englischer Bergsteiger, laute, bärtige Männer über vierzig, die so viel Ausrüstung trugen, als wollten sie nicht für eine Woche in den Kaukasus, sondern für immer. Rucksäcke, große und kleine Täschchen, dicke Mützen, Karabiner als Amulette, Tattoos zur Erinnerung an in den Bergen verstorbene Freunde sowie Sonnenbrillen, die ihre Farbe von alleine änderten – dieser ganze Kram wurde unter Aufsicht eines russischen Gruppenführers namens Wasilij transportiert. Wasilij selbst hatte nur eine D&G-Handtasche dabei. Uns erzählte Wasilij, er hieße in Wirklichkeit Valerij, aber die Engländer könnten seinen richtigen Namen nicht aussprechen. Die Gruppe sollte in fünf Tagen den Elbrus besteigen und dann per Hubschrauber zu ihrem Aufenthaltsort, dem Hotel Bergsteigerhütte, gebracht werden. Der falsche Wasilij erzählte uns außerdem, warum der Bergtourismus in der Region seit Jahren stagnierte. Der Kaukasus schien Bergsteiger buchstäblich zu fressen. Jede Maschine, die im Flughafen Minaralnie Vodi landete, brachte eine Gruppe ausländischer Bergsteiger. Aber nur jede zweite Maschine, die in Mineralnie Vodi startete, brachte eine Gruppe ausländischer Bergsteiger wieder heraus. Eine plausible Erklärung für dieses Phänomen gab es nicht, obwohl einige Einheimische erzählt haben sollen, dass in Nord-Ossetien inzwischen ein ganzes Dorf mit ehemaligen Bergsteigern existierte, von denen viele einheimische

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