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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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haben wollten. Die Antwort kam schneller als erwartet: Georgij Ivanowitsch wünschte sich einen neuen Motor für seinen Betonmischer und Munition für zwei deutsche Maschinengewehre, die er in Patigorsk auf dem Markt für ein Dutzend Glasfenster eingetauscht hatte. Meine Schwiegermutter erbat sich ein Brunnenbohrgerät und einen Transformator für einen Elektroheizkessel. »Bringt uns außerdem tolles Parfüm, bunten Modeschmuck, legere Handtaschen und abgefahrene Unterwäsche«, schrieben die Cousinen, »aber wie gesagt: bloß nichts von D&G, Gucci oder Christian Dior.« Diese Geschenkwünsche bereiteten uns großes Kopfzerbrechen. Die nordkaukasische Konsumwelt schien eine ganz andere als in Deutschland zu sein. Zumindest bei uns in Berlin lebten die Menschen anders, bescheidener: Sie waren hier nicht so auf Betonmischer und Brunnenbohrer fixiert und in der Regel mit ein paar Gummibärchen durchaus zufriedenzustellen. Die wiederholten Anspielungen der Cousinen auf Designerklamotten verstanden wir als kodierte Botschaft: Wir sollten nicht zu viel Geld für die Geschenke ausgeben und dafür möglichst viele verschiedene Sachen mitbringen, damit die beiden Mädchen auf Dauer in der Patigorsker Disko Eindruck schinden konnten.
    Mit zwei Koffern voller Geschenke bestiegen wir schließlich das Flugzeug Berlin – Mineralnie Vodi. Außer uns saß kein Mensch in der Maschine. Als wir in der Luft waren, kam der Pilot zu uns nach hinten, trank ein Bier nach dem anderen und erzählte uns Geschichten aus seinem Pilotenleben. Danach wollte er alles über unser Leben in Berlin wissen. Auf meine Frage, ob es nicht gefährlich sei, die Pilotenkabine während des Fluges zu verlassen, lachte er nur bitter und erklärte uns, dass die Flugzeuge schon lange von Automaten geflogen wurden. »Mit einem Flugzeug ist es wie im Bett«, meinte er. »Du musst die Maschine hoch- und dann wieder herunterkriegen, alles andere passiert automatisch.« Seine Worte beruhigten mich, und ich erzählte ihm ausführlich von unserem Berliner Leben. Danach nahm der Pilot seinen Arbeitsplatz wieder ein. Die Landung war schnell und schmerzlos. Aus den Bullaugen links und rechts sah man große Berge. Draußen hatte es dreißig Grad, auf den Bergen aber lag noch Schnee.
    Georgij Ivanowitsch wartete bereits zusammen mit meiner Schwiegermutter vor dem Flughafen mit seinem Opel auf uns. Auf der Fahrt durch das Städtchen erzählte er uns von seinen Bauplänen: Er wollte die Siedlung in eine Kleinstadt verwandeln: »Als Erstes brauchen wir dazu eine Autobahn von der Steppenpiste nach Patigorsk, dafür müssen wir aber Tunnel durch einige Berge bauen. Die Administration des Bezirks ist daran durchaus interessiert. Es werden bereits Gespräche darüber geführt«, erklärte er uns. Außerdem wollte Georgij Ivanowitsch ein Schwimmbad mit Mineralwasser aus natürlichen Quellen, mit einer russischen Sauna, einem Teich zum Karpfen angeln und einem Schießstand hinter dem Haus errichten.
    »In ein paar Jahren werdet ihr die Gegend hier nicht mehr wiedererkennen«, meinte er. »Überall werden Asphalt, Beton und Glas in der Sonne blitzen. Wir werden Gaststätten und Geschäfte eröffnen, es wird ein richtiger Kurort hier entstehen.« Der Onkel meiner Frau war ein großer nordkaukasischer Patriot.
    »Und was ist mit dem Krieg?«, fragten wir ihn. In Tschetschenien ging der Krieg weiter, und wir waren gar nicht weit von der tschetschenischen Grenze entfernt.
    »Davon kriegen wir hier gar nichts mit. Das ist doch zweihundert Kilometer weit weg«, beruhigte uns der Onkel. »Die Terroristen haben im letzten Jahr nur einmal den Patigorsker Bahnhof in die Luft gesprengt. Der war aber ohnehin schon so alt, dass wir ihn längst selbst hätten abreißen müssen. Nun wird ein neuer moderner Bahnhof gebaut. Eigentlich ist es bei uns viel ruhiger als in Moskau«, erzählte der Onkel weiter. »Hier leben Menschen aus fünfundachtzig Nationen eng zusammen, und alle sind bis an die Zähne bewaffnet. Wir sind allein schon dadurch auf den Frieden angewiesen.«
    Patigorsk wirkte tatsächlich sehr ruhig. Die Straßen waren voller flanierender Familien, alle festlich gekleidet. Die Sonne schien, und die fünfundachtzig Nationen nutzten das gute Wetter. Der Onkel machte im Zentrum einen kurzen Halt, um uns den Zoo zu zeigen und außerdem ein paar Kisten Bier zu kaufen. Der Zoo war klitzeklein, die Vielfalt der Fauna quasi auf ein Kamel reduziert. Es lag in einem Sandkasten und träumte. Rund

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