Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
Vom Netzwerk:
entfernte die Kerne und kochte aus den Kirschen meine Lieblingskonfitüre.

 
11 - Schwimmen lernen
     
     
    Man darf die Natur nicht unterschätzen. Überall, wo wir nicht aufpassen, übernimmt sie sofort die Kontrolle. Die Natur funktioniert wie die Mafia, sie hat überall ihre Finger im Spiel. In den zwei Wochen unserer Abwesenheit hatte die Natur aus unserem hübschen Garten etwas völlig Unvorschriftsmäßiges gemacht. Unser freiwilliger Gärtner Thomas hatte nach Kräften versucht, die Ordnung aufrechtzuerhalten, doch als jemand, der nachts arbeitet, schlief er oft am Tag durch und kam erst abends in den Garten, um schnell zu gießen. Jetzt sah man schon aus der Ferne, dass unsere Parzelle deutlich aus der Reihe tanzte wie ein Hippie bei der Bundeswehr: Das Gras war zu hoch und wild zerzaust, die Kirschen nicht alle gepflückt, das Mandelbäumchen war mächtig in die Breite gegangen und versperrte mit seinen neuen Zweigen den Weg, der Boden war mit herabgefallenen Äpfeln bedeckt. Das Schlimmste aber war, dass wir nur drei Tage Zeit hatten, um alles wieder ins Lot zu bringen. Noch im Februar hatte meine Frau für Ende Juli zehn Tage auf Ibiza gebucht. Dort, in einem riesigen Touristenhotel, wollten wir uns von dem Kaukasusurlaub erholen. Irgendwie war meine Frau fest davon überzeugt, dass wir nach der Russlandreise Urlaub brauchen würden. Tatsächlich waren wir etwas müde, besonders nach dem Kampf mit dem Feuer, dem Interview mit dem örtlichen Fernsehen und der anschließenden Feier mit dem Streit, wer wie viel für das Wasser zahlen sollte, da alle Gärten unterschiedlich stark betroffen gewesen, die Haushalte jedoch alle an den gleichen Wasserzähler angeschlossen waren. Dieser Streit, der beinahe in eine Schlägerei mündete und ein krönendes Ende unseres dortigen Aufenthaltes war, führte fast dazu, dass ich mich in diesen Menschenschlag im Nordkaukasus verliebte. Seine heldenhafte Starrköpfigkeit erinnerte mich komischerweise an die Berliner. Ich war nicht abgeneigt, dort länger zu bleiben, alte Aprikosenbäume zu fällen, mit den Nachbarn zu plaudern, gemeinsam Brände zu löschen, zu streiten und zu feiern. Auf Ibiza hatte ich überhaupt keine Lust.
    Meine Frau brauchte jedoch, um ihre Pläne zu verwirklichen, ein Meer, das es im Nordkaukasus nicht gab. Sie brauchte das Meer, um unserem Sohn Sebastian das Schwimmen beizubringen. Aus meiner Sicht brauchte Sebastian nicht zu schwimmen, er war auch auf dem Trockenen ganz in Ordnung, ein toller Junge. Ich vertrat die Meinung, dass man, wenn man überhaupt schwimmen lernen wolle, dies auch in einer aufblasbaren Badewanne im Schrebergarten tun könne. Schwimmen lernen ist genauso einfach wie Schlittschuh laufen, Lotto spielen oder Fahrrad fahren. Jeder hat es in seinen früheren Leben schon einmal gemacht und braucht sich nur an die dazu notwendigen Bewegungen zu erinnern. Beim Schwimmen geht es nicht um irgendwelche ausgefeilten Techniken, sie sind jedem Mensch wie den Hunden angeboren, es geht einzig und allein darum, die Angst vor dem Wasser zu überwinden. Dafür muss man wahrlich nicht ans Mittelmeer fahren. Ich habe schließlich auch nicht am Meer, sondern auf einer stillgelegten Baustelle in einem mit Wasser gefüllten Fundament schwimmen gelernt.
    Ende der Siebziger entstand neben unserem Haus in Moskau eine große Baustelle. Hier sollte ein neues, riesengroßes Stadion pünktlich zu den Olympischen Spielen 1980 direkt vor unserer Haustür gebaut werden, »der Traum der Sportler aus aller Welt«, wie die Zeitungen schrieben. Wir waren keine Sportler, freuten uns aber natürlich trotzdem über die bevorstehende Attraktion. Tag und Nacht fuhren Bulldozer im Wald hinter unserem Haus hin und her, die den Wald von Bäumen befreien sollten. Morgens kamen große LKWs mit Baumaterialien, die ausgeladen und zu großen Haufen gestapelt wurden. Man hatte mitten im Wald einen riesigen Krater ausgehoben und ein Fundament gelegt. Mitten in dieser Bauwut schickte allerdings der damalige sowjetische Generalsekretär Breschnew die Armee nach Afghanistan, wo sie gegen die Taliban kämpfen sollte. Heute gehört es zum guten Stil jedes zivilisierten Landes, Truppen nach Afghanistan zu schicken, um die Taliban zu bekämpfen. Doch vieles, was heute eine politische Selbstverständlichkeit ist, galt früher als verbrecherisch. Die halbe zivilisierte Welt zeigte sich empört und boykottierte die Olympischen Spiele in Moskau, allen voran die USA, die sich weigerten,

Weitere Kostenlose Bücher