Mein Leben im Schrebergarten
nachbarschaftlichen Fremdsprachenkenntnissen nicht rechtzeitig erbringen.
»Es ist einfach klasse, im Wald spazieren zu gehen. Übrigens, Sie sprechen phantastisch Russisch«, reagierte ich spät, aber noch höflich genug.
»Ich hatte Russisch in der Schule, aber alles vergessen«, entschuldigte sich Günther.
Er erzählte mir die neuesten Schrebergartennachrichten, obwohl seit dem Ende der Fußballweltmeisterschaft nicht viel los gewesen war. Irgendwelche Schurken mit Kamera hatten in unserer Kolonie für einen Privatsender gedreht. Sie wollten die Gärtner als emsige Menschen darstellen, die wie Schnecken in ihren kleinen Häuschen saßen oder irgendwelche bescheuerten Gartenzwerge aufstellten. Unter anderem wollten sie auch Günther Grass filmen, als er gerade versuchte, mit einer Nagelschere seinen Rasen an den Ecken zu schneiden, die er mit einem Rasenmäher nicht erreichte.
Wie gut, dass ich die Dreharbeiten verpasst habe, dachte ich. Nirgends ist es leichter, sich zum Narren zu machen, als in einem Schrebergarten. In unseren urbanen Zeiten sieht jeder, der einen Wasserschlauch in der Hand hält, wie ein Idiot aus. Zum Glück konnte ich meine Identität als Schriftsteller in unserer Gartenkolonie weitgehend geheim halten. Sogar in dem kaukasischen Kurort Patigorsk war ich in einem Weinladen von Fans erkannt und letztes Jahr auf Mallorca direkt am Strand von Lesern umzingelt worden. Aber in der Schrebergartenkolonie »Glückliche Hütten« konnte ich mich sicher fühlen. Hier werden nur neue Gartenratgeber und alte Krimis gelesen.
Während ich meine Pflanzen goss, verglich ich unbewusst den kaukasischen Garten meiner Schwiegermutter mit unserem in Berlin. Sie waren wie Himmel und Erde. Unserer war übersichtlich: links Erdbeeren, rechts Äpfel, alle Bäume an zwei Händen zu zählen. Hier wusste ich genau, an welcher Stelle welche Pflanze stand. Der kaukasische Garten wirkte dagegen auch nach Wochen noch wie ein Dschungel auf mich. Nur meine Schwiegermutter konnte dort problemlos ihr Gemüse finden. Jeden Morgen verschwand sie im grünen Gebüsch und kam einmal mit frischen Tomaten, ein andermal mit einer Paprika oder Gurke zum Frühstück wieder. Und wenn eine Tomate nur fünf Meter bis zum Tisch braucht, schmeckt sie allemal besser als die hiesigen winterfesten aus Spanien oder Holland.
Ich vermisste diese frischen Lebensmittel, den tiefen Swimmingpool von Onkel Georgij mit den unsichtbaren grünen Delphinen auf dem Boden und den Patigorski-Erholungspark mit seinen Armeniern, die Spieße und Bier verkauften, und der alten Achterbahn, die nicht einmal mehr einem Säugling Angst einjagen konnte, und mit den Schießständen, an denen man mit umgebauten Kalaschnikows auf Konservendosen schoss. An der Parkmauer in Patigorsk hingen viele Ehrentafeln. In diesem Park hat einst der berühmte Dichter X. eine Zeitung gekauft , oder: In diesem Park hat der berühmte Dichter Y. ein Eis gegessen . Besonders viele Ehrentafeln hat der russische Schriftsteller Leo Tolstoi bekommen, der etliche Sommer im Kaukasus verbrachte. Auf der Parkmauer in Patigorsk hat er die größte Ehrentafel. Darauf ist ein Auszug aus seinem Tagebuch zu lesen. Gehe heute in den Park, schrieb Leo Tolstoi an die zukünftigen Bewunderer und Leser seiner Tagebücher. Muss dringend ein paar Ideen für das neue Kapitel meines aktuellen Romans sammeln .
Dieser Satz gefiel mir sehr, und jedes Mal, wenn wir an einem Weingeschäft oder einer Bierstube im Park vorbeigingen, sagte ich zu meiner Frau, ich müsse dringend da hineingehen, ein paar Ideen für das neue Kapitel meines aktuellen Buchs sammeln. Das war natürlich ein Witz. Die Ideen lagen hier auf der Straße; an jeder Kreuzung eine Erzählung, in jeder Markthalle ein Roman, und hinter den Bergen versteckten sich wahrscheinlich noch größere Schätze, wir waren bloß zu faul zum Klettern.
Am letzten Tag vor unserer Abreise nach Ibiza, als ich mithilfe der Familie unseren Schrebergarten endlich wieder auf westlichen Standard gebracht hatte, angelte ich eine Mahnung des Vorstands aus dem Briefkasten. Diese ehrenamtlichen Gartenzwerg-Aufseher ermahnten mich, auch die vor den Zaun gefallenen Äpfel aufzusammeln, obwohl die deutsche Gartengesetzgebung in diesem Fall klar und deutlich ist: Die abgefallene Frucht gehört demjenigen, auf dessen Grundstück sie gefallen ist, und nicht dem Besitzer des Baums. Die verdorbenen Äpfel meines Baumes, die außerhalb unseres Grundstückes lagen, sollte
Weitere Kostenlose Bücher