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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Warenknappheit gab es in unserem sozialistischen Vaterland überall, immer und in jeder Farbe Schwimmflossen zu kaufen. Sie wurden aus besonders reißfestem Gummi hergestellt, wahrscheinlich aus den Resten von Taucheranzügen, mit denen die sowjetischen U-Boote ausgerüstet wurden. Weil wir uns von Amerika und den Taliban bedroht fühlten, musste die Sowjetunion sehr viel für das Militär produzieren, und die Zivilprodukte entstanden quasi nebenbei. Besonders gut gelangen der sowjetischen Rüstungsindustrie die berühmten sowjetischen U-Boote, die plötzlich und ohne Vorwarnung überall auf der Welt auftauchten. In der Regel hatten sie sich in einem schwedischen Fischernetz verfangen oder wurden von einer großen Welle ans Ufer gespült. Ein Glück für Afghanistan, dass es dort keine tiefen Seen zwischen den Bergen gab, sonst hätten die Taliban uns noch heute am Haken. Denn ein sowjetisches U-Boot konnte man mit keinem Bulldozer vom Fleck bringen.
    Wenn ein solches U-Boot auf Grund lief, sollte seine Mannschaft unverzüglich in Taucheranzügen das Boot verlassen und, wenn nötig, zu Fuß auf dem Meeresgrund nach Hause laufen. Es waren also sehr gute Taucheranzüge, in denen man dreimal um die Fidschiinseln gehen konnte. Aus den Resten dieser Anzüge wurden die Schwimmringe gemacht, mit denen der Autor dieser Zeilen schwimmen lernte. Diejenigen, die kein Geld für einen Schwimmring hatten, nutzten als Schwimmhilfe Reifenschläuche von  Kamas -Lkws, einem Fahrzeug, das ebenfalls zu militärischen Zwecken, nämlich als Langstreckenraketenträger, gebaut wurde. Man konnte gleich ein Dutzend Kinder in einen solchen Schlauch packen und übers Wasser treiben lassen. Allein die Größe des Ringes vermittelte den Eltern bereits ein Gefühl von Sicherheit. Sie staunten deswegen nicht schlecht, wenn ihr Reifen leer ans Ufer trieb.
    Ich selbst mochte diese riesengroßen  Kamas -Reifen nicht. Ich habe mit einem ganz normalen schmalen Reifen schwimmen gelernt. Er hatte eine grüne Tarnfarbe und vorne einen Kopf mit Bärtchen. Meine Eltern meinten, es sei ein Schwan, ich behaupte dagegen noch heute, es sei Lenin gewesen. Mein Sohn kann übrigens im Schwimmring wunderbar schwimmen, er hat eine ganze Sammlung davon, in jeder Farbe und Größe. Doch die Zeiten ändern sich. Die Anforderungen an die heranwachsende Generation sind enorm gewachsen. Heute erwartet man von einem Jungen, dass er ohne Schwimmhilfen in zwei Stunden und vierzehn Minuten den Atlantik überquert. Hin und zurück, versteht sich.
    Von diesem Gedanken erfasst, eilte ich völlig verschwitzt zum Schrebergarten, um ein Minimum an Ordnung herzustellen, bevor wir nach Ibiza abreisten. Berlin meldete jeden Tag einen neuen Hitzerekord, die Kleingartenanlage wirkte wie ausgestorben, nur Günther Grass sah ich bequem mit einer Zeitung in der Hand im Schatten seiner Nadelbäume sitzen. Ich begrüßte ihn herzlich und erzählte ihm, dass wir für zwei Wochen in Russland waren und bald nach Ibiza fliegen würden. Günther reagierte wirr. Völlig unerwartet zwinkerte er mir zu und sagte: »Ist es nicht schön, im Wald spazieren zu gehen?«
    Ich drehte mich um, in der Hoffnung, vielleicht auf dem Grundstück hinter mir jemanden zu sehen, mit dem Günther im Wald spazieren gegangen war. Auch wenn man sich das nur schwer vorstellen konnte, weil Günther aus Prinzip immer allein spazieren ging. Es war aber niemand da, außer uns beiden, und mein Nachbar wartete eindeutig auf eine Antwort. Ich hatte einmal in einem russischen wissenschaftlichen Magazin gelesen, dass Männer über fünfzig Hitze besonders schlecht vertragen. Wenn die Temperaturen länger als fünf Tage dreißig Grad übersteigen, finden bei den Männern im Gehirn Veränderungen statt, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Jetzt hatte es offensichtlich meinen Schrebernachbarn erwischt.
    »Ist es nicht schön, im Wald spazieren zu gehen?«, ließ Günther nicht locker.
    »Schon schön«, murmelte ich und überlegte, wie ich ihm in dieser Situation helfen konnte.
    Günther drehte weiter auf. Er sagte in einem Zug: Sehenswürdigkeiten, Spasiba, Druschba, Freundschaft. Ich brauchte eine Weile, um zu kapieren, dass Günther Russisch mit mir sprach, und alle Brocken, die in seinem Kopf noch aus seiner Kindheit und Jugend in der DDR gespeichert waren, sich nun in der Sonne langsam lösten und herausfielen. Weil ich wochenlang nur Russisch gehört hatte, konnte ich das erwartete Kopfnicken zu den

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