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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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meinem Geburtstag, praktisch überall. Ich will, dass sie endlich ein neues Stück schreibt«, meinte die Tochter, während ihre Mutter durch die Wiese lief und »Wo ist mein Hubschrauber?« schrie. Das Stück neigte sich dem Ende zu, Frau Krause stolperte über das Mikrophonkabel und verschwand von der Bühne.
    Währendessen führten wir mit Herrn Krause ein anregendes Gespräch über Bücher. Genau wie ich war er abergläubisch, was Literatur betraf. Auch er wusste, dass es Bücher gab, die Unglück brachten. In seinem Fall war der Roman  Das Parfüm  ein solcher Unglücksbringer. Jeder, dem dieses Buch nicht gefiel, hatte zu leiden, aber nur, wenn man seinen Unmut darüber öffentlich äußerte. Entweder hatte man einen Autounfall, oder man bekam eine schlimme Allergie, oder es wurde einem gekündigt.
    »Mir hat diese Geschichte über den durchgeknallten Riecher überhaupt nicht gefallen, aber ich würde das niemals öffentlich zugeben«, flüsterte mir Herr Krause ins Ohr.
    Seine Frau kam an den Tisch, sie war mit dem Theaterspielen fertig – fix und fertig. In dem ganzen Durcheinander hatte ich so gut wie nichts von ihrem Stück mitbekommen. Nur über Gespräche mit anderen Kolonisten, ihren Kindern und einigen Mitgliedern des Vorstands gelang es uns, die Handlung zu rekonstruieren.
     
    Das Mono-Kindertheaterstück  Wilde Prinzessin  von Frau Krause:
     
    Es war einmal eine Prinzessin, die lebte zusammen mit vielen kranken Tieren (sie hatte einen leichten Knall). Sie stand bei Sonnenaufgang auf und ging durch die Schrebergärten spazieren. Jedes Mal, wenn sie ein krankes Tier traf, ob Elefant oder Maus, nahm sie es in ihre Parzelle mit. Auch Vögel, die nicht mehr fliegen konnten, und zerfledderte Menschen fanden bei ihr Unterschlupf und bekamen etwas zu essen. Alle Erniedrigten dieser Welt wussten darüber Bescheid und legten sich extra auf die große Wiese vor dem Vereinsheim der Schrebergartenkolonie, damit die Prinzessin über sie stolperte. Eines Tages ging die Sonne nicht auf, die wilde Prinzessin verschlief, und alle kranken Tiere und maroden Menschen starben. Damit das nicht noch einmal passierte, besorgte sich die Prinzessin einen Hubschrauber und flog jeden Morgen steil nach oben, um die Sonne zu wecken. Das ging eine Zeit lang gut, bis ein böser Hase ihren Hubschrauber aus Langeweile klaute. Es war gerade ihr Geburtstag, deswegen regte sich die wilde Prinzessin besonders heftig darüber auf. »Wo ist mein Hubschrauber?« , rief sie immer wieder, lief hilflos umher, stolperte über das Mikrophonkabel und fiel hin. Aber niemand merkte etwas. Die kranken Tiere und lädierten Menschen feierten weiter.
     
    Die Musik von Klaus Otto Maria Magnus Westerhagen tönte aus den Lautsprechern, Kinder spielten Fußball mit Luftballons, ein kleines schwangeres Hündchen zog einen Eisbeinknochen über die Wiese, die Toilettenfrau verkaufte nebenberuflich Kaffee und Marmorkuchen. Es gab wie im richtigen Leben kein Happy End, es ging einfach immer weiter. Gegen Abend wurde der Regen stärker, und langsam leerte sich das Festgelände. Nur die Gefangenen der  Kümmerling -Burg blieben auf ihren Plastikstühlen unter dem großen  Pall-Mall -Schirm sitzen – bis zum nächsten Jubiläum.

 
14 - Deutschland aus Porzellan
     
     
    Will jemand vielleicht einen Apfel? Nein? Ich auch nicht. Ich habe in den letzten Wochen zu viele davon gegessen. Anderswo feierten die Menschen längst Oktoberfest oder bereiteten sich auf den Karneval vor. »Nur noch hundert Tage bis Weihnachten«, warnte die Leuchtreklame in der Marzipanecke unserer Kaufhalle. Kaschmirpullover und winterfeste Bergsteigerjacken beherrschten bereits die Theken in den Kleidergeschäften, unser Alltag wurde dagegen noch immer von den Apfelbergen in der Wohnung beherrscht. Wir schafften es kaum, die Früchte zu verarbeiten oder zu verschenken, und das Ende der Ernte war noch immer nicht in Sicht. Alle zwei Tage schleppte ich einen neuen Apfelsack aus dem Garten nach Hause. Auf der Familienversammlung, die wegen der Apfelkrise einberufen wurde, beschlossen wir fast einstimmig, nicht aufzugeben und keinen Apfel am Baum zu lassen. Drei waren dafür, einer enthielt sich. Wie Tarzan kletterte ich die Apfelbäume hoch und schwer beladen wieder herunter. Dabei gewann ich stets neue Erkenntnisse über das weite Feld der Gartenarbeit. So bemerkte ich zum Beispiel, dass die größten Äpfel sich immer an der Spitze der Bäume befinden. Sie saßen fester auf den

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