Mein Leben im Schrebergarten
er dessen Wurzeln höchst präzise mit dem Gasbrenner verkohlt hatte. Doch Herr Kern wirkte optimistisch, sein Glaube an den endgültigen Sieg über das Unkraut war nicht zu erschüttern.
»In Schweden – tollen Urlaub gehabt«, erzählte er zwischendurch. »Schweden ist ein Paradies! Die Luft, die Bäume, die absolute Ruhe!«, rollte er die Augen.
Familie Kern hatte die gleiche Holzhütte wie jedes Jahr gemietet, vier Kilometer vom nächsten Dorf entfernt, im ruhigen Teil Schwedens, wie Herr Kern betonte. Ich überlegte, wie wohl der unruhige Teil Schwedens aussehen mochte, konnte mir jedoch nichts Konkretes darunter vorstellen.
»Du hast recht«, gab Herr Kern zu. »Im Sommer ist in Schweden tote Hose, aber wir wollten trotzdem auf Nummer sicher gehen: keine Menschen, keine Autos, keine Flugzeuge am Himmel. Absolute Ruhe. Und den Kindern hat es auch gefallen.«
Die niedlichen kleinen Maispflanzen auf seinem Grundstück standen inzwischen eins achtzig hoch, seine Äpfel waren groß wie Kinderköpfe – die chinesische Biogartenlehre schien zu funktionieren.
Auch Familie Krause war in ihren Straßenbahngarten zurückgekehrt. Man hörte die Hunde von Weitem bellen und die Kinder schreien. Herr Krause inspizierte nachdenklich den Unkrautdschungel auf seinem Grundstück, während Frau Krause in bunte tibetische Seidentücher gewickelt im Liegestuhl saß. Sie rauchte, trank Kaffee, las, schrieb und strickte gleichzeitig.
»Wir wären beinahe für immer im Nordkaukasus geblieben«, erzählte ich. »Und wie war es bei euch in Palermo?«
»Wir waren nicht in Italien«, erklärte Frau Krause. Sie hatten sich im letzten Moment doch für Polen entschieden. Vier Wochen lang hatten sie in ihrem alten VW-Bus Polen durchquert, mit Hunden, Vögeln, Kindern und drei Koffern voller Belletristik, die Herr Krause immer in den Urlaub mitnahm.
»Mein Mann lebt in der Vergangenheit und in der Literatur«, beschwerte sich Frau Krause. »Er will ständig das gerade Gelesene nachahmen. Mich hat er damals nur geheiratet, weil er ein Buch über eine leidenschaftliche Ost-West-Beziehung gelesen hatte.« In diesem Buch wurde eine schwangere Frau an der Mauer erschossen, als sie zu ihrem Freund in den Westen fliehen wollte. Als er das gelesen hatte, fuhr Herr Krause in den Osten und lernte die zukünftige Frau Krause kennen. Sie wurde jedoch nicht erschossen.
In Polen wollte Herr Krause auf Spurensuche gehen, weil er gerade ein Buch von Günter Grass (von dem richtigen Schriftsteller, nicht von Nadelbaum-Günther) über Vertriebene gelesen hatte und ein Teil seiner Familie ebenfalls vertrieben worden war. Frau Krause schwärmte von Polen in den höchsten Tönen: Die polnischen Hotelbesitzer seien viel flexibler als die Deutschen, meinte sie. Die heulenden Hunde und kreischenden Kinder hätten ihnen überhaupt nichts ausgemacht. Nur die Deutschen täten immer so, als könnten sie nur bei absoluter Ruhe schlafen. Sie würden einfach nicht einsehen wollen, dass jedes Leben Krach macht und nur der Tod leise ist, schimpfte sie – und erinnerte an einen preußischen König, der nach dem Exerzieren seiner Regimenter enttäuscht gemeint hatte: »Sehr schön, aber sie atmen!« Ich kannte diesen Satz aus Russland, dort wird er dem Großfürsten Michael zugeschrieben.
Wie ein Blitz war die Familie Krause durch Polen gefahren. Sie war an der deutschen Grenze hinein- und an der russischen wieder herausgekommen – aus dem polnischen Wald. Dort hielten sie an dem gestreiften Grenzhäuschen, begrüßten die russischen Soldaten davor und fuhren weiter Richtung Ostsee. Da mieteten sie für ihr ganzes Geld ein Zwölf-Tonnen-Boot, weil Herr Krause gerade das Buch Schiffbruch mit Tiger gelesen hatte, und irrten damit eine Woche lang über die kleinen Seen. Mit all den Hunden, Vögeln und Kindern und den ganzen Vorräten ähnelte ihr Boot einer modernen Arche Noah, auf der immer etwas los war. Die einheimischen Fischer machten einen großen Bogen um ihr Schiff, wenn es in öffentlichen Gewässern auf sie zusteuerte.
»Was können wir noch auf die Schnelle pflanzen? Vielleicht Knoblauch oder Zwiebeln?«, fragte mich Frau Krause.
Ich fragte sie dagegen, ob sie jemanden kenne, der ein paar Tonnen Äpfel haben wolle.
Ich könnte die Ernte vielleicht beim Kinderbauernhof abgeben oder bei den Vietnamesen im Obst- und Gemüseladen? In der Schulkantine? Beim Verein der Anonymen Alkoholiker? – Frau Krause war in unserem Bezirk eine bekannte
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