in Elissas Tasche entdecken. Auf dem Weg nach Hause hatten wir fast durchgehend gekichert, beschwipst vom Wein und beseelt vom guten Essen.
Zwei Jahre später war Elissa für kurze Zeit nach München gegangen, und nun arbeitete sie bereits seit gut fünf Jahren auf der Nordseeinsel Sylt. Die Gastroszene auf der Insel hatte sich in der letzten Zeit auf ein sehr hohes Niveau entwickelt, und ständig kamen neue Restaurants und Bistros hinzu. Anfangs hatte ich mich gefragt, ob es für eine umtriebige Restaurantkritikerin auf einer doch verhältnismäßig kleinen Insel überhaupt genug zu tun geben würde, aber Elissa war komplett ausgelastet. Sie schrieb Empfehlungen für verschiedene Wochenendbeilagen von Tageszeitungen aus Städten wie Berlin oder Düsseldorf, wo viele Sylt-Freunde lebten. Außerdem wurde sie häufig als Beraterin für Fernsehsendungen angefragt, in denen es um Küche und Kochen ging. Der allgemeine Trend, weniger Lebensmittel in der Mikrowelle aufzuwärmen und stattdessen gesundes Essen zu kochen, bescherte meiner Freundin volle Auftragsbücher.
Ich legte den Artikel zur Seite und machte mich gut gelaunt an meine Lucinda-Listen. Nachdem ich großzügig wattierte BH s, Minimizer, Strümpfe, Nachthemden, Bodys und einiges aus der Abteilung «Für den Mann» geordert hatte, widmete ich mich meiner elektronischen Post.
Neben Angeboten, mir den Penis vergrößern zu lassen, Probefahrten mit Kleinwagen zu unternehmen und günstige Omega- 3 -Pillen zu bestellen («Omega- 3 ist so wichtig wie Vitamin C – pflegen Sie Körper und Geist mit unserem Kennenlernangebot»), gab es auch eine Nachricht von Elissa.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff: Einladung, und wehe, du kommst nicht
Gesendet: 24 . November, 23 : 17 Uhr
Liebe Ilse,
meine Beste, ich hoffe, es geht dir gut und alle sind gesund. Ich hatte heute einen wunderbaren Abend in einem neuen Restaurant in Keitum. Das Essen war ganz großer Mist. Ich musste geschlagene zweiundzwanzig Minuten warten, bis ich an einen Tisch gesetzt wurde, nicht einmal ein Glas Leitungswasser wurde mir zur Überbrückung der Wartezeit angeboten. Der Rotwein war eiskalt, der Salat hätte im Dressing seinen Freischwimmer machen können, und die handgeschnitzten Fritten waren innen noch leicht gefroren! Die haben es nicht einmal hinbekommen, das Steak so zu braten, dass es noch als Rindfleisch erkennbar war. Ich werde gleich, wenn ich diese Nachricht an dich beendet habe, meine Kritik dazu schreiben. Das wird ein Fest!
Aber eigentlich melde ich mich, weil ich dich noch mal zu meinem Geburtstag einladen möchte. Die Location steht: Ich werde in einem tollen Restaurant in Westerland feiern, ein schickes Hotel mit einem sehr jungen neuen Küchenchef. Fast noch ein Geheimtipp. Und der Koch macht nicht nur einzigartiges Essen, sondern sieht noch dazu großartig aus. Das Auge isst ja bekanntlich mit. Das wird grandios. Du MUSST MUSST MUSST kommen, auch wenn du am Samstag am Telefon gesagt hast, dass es nicht geht, weil Toni so viel zu tun hat und ihr kurz danach wieder eure Skireise macht. Ganz ehrlich: Die kannst du doch nächstes Jahr auch noch machen, wenn ich nicht vierzig werde. Natürlich schläfst du bei mir, und am besten holst du eure Oma Nudel und lässt sie bei euch einhüten, damit wir ein schönes Wochenende zusammen haben. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Melde dich, so schnell es geht.
Ich drück dich
EB
Sich darüber zu freuen, dass ein Abend mit schlechtem Service und miesem Essen besonders gut geeignet für eine Restaurantkritik war, war typisch Elissa. Das Leben meiner Freundin bestand aus einer Aneinanderreihung von mehr oder weniger gutem Essen, begleitet von reichlich Wein. Allerdings war sie dazu übergegangen, hauptsächlich in der Mittagszeit Menüs zu testen. Zum einen war es preiswerter, sich bereits bei Tageslicht drei oder mehr Gänge einzufahren, schließlich mussten auch ihre Auftraggeber mittlerweile auf ihr Budget achten. Und zum anderen war der Küchenchef mittags meistens nicht im Restaurant, sodass die Wahrscheinlichkeit, einen Verriss zu landen, wesentlich größer war. Den konnte ganz Nordfriesland dann nachlesen in «Damit Ihr nicht brecht», ihrer Kolumne, die inzwischen in der größten Tageszeitung Schleswig-Holsteins erschien. Anschließend recycelte sie die Kolumnen in Reiseführern über die Insel.
Vielen Köchen und Kellnern war meine kleine Freundin inzwischen bekannt, sodass Elissa sich in den