Mein Leben in 80 B
Spätburgunder aus Baden, der hat leichten Fasseinsatz und würde sich aromatisch über alle Gerichte legen.»
Klang in meinen Ohren toll, aber das lag vielleicht auch daran, dass ich den ganzen Nachmittag Prosecco getrunken hatte und der Auskenner dem jungen Alain Delon ganz entfernt ähnlich sah. In meinem Zustand hätte ich dem Mann auch Sangria im Fünf-Liter-Tetrapak abgekauft.
«Gut, dann probieren wir den Spätburgunder. Vielen Dank.»
Das Helferlein machte sich mitsamt der Karte wieder unsichtbar.
Elissa ruckelte an ihrer Handtasche und prüfte, ob die Aufnahme noch lief. «Hätte ich dem Laden gar nicht zugetraut, dass die so gut sortiert sind. Ich bin mal ehrlich gespannt, wie der Wein schmeckt.»
Was für mich zu einem außergewöhnlichen Abend mit köstlichem Essen und phantastischen Weinen wurde, war für Elissa harte Arbeit gewesen:
Damit Ihr nicht brecht
Ein Test von Elissa Brecht – heute: Restaurant Quartett
Seit einiger Zeit wird die Köpenicker Straße von der Berliner Clubszene in Beschlag genommen und macht das Leben dort zur Hölle. Anrainer sein ist dort nichts für zart Besaitete. Da die Clubber beizeiten Hunger haben, eröffnen Szeneclubbetreiber ein Restaurant nach dem anderen. Ansporn genug für die Macher des Sunshine und die Betreiber des Clubs deLuchs, nachzuziehen.
Ich bin misstrauisch, eigentlich eine Verfechterin des «Schuster bleib bei deinem Leisten». Doch kommt man in Berlin nicht um diesen Trend herum. Ich muss also hinsehen. Genauer … wie immer.
Unter der Lupe: der Architekt. Hat sich die Szene den guten Geschmack denn weggekokst? Natürlich steht ein Kamin in der Halle, die sich Restaurant nennt. Der ideale Sitzplatz befindet sich wohl irgendwo zwischen den zugigen Fenstern und der offenen Feuerstelle, die nicht die Steaks, sondern die Gäste grillt. Deutlich angenehmer dagegen das kleine Séparée, zum Glück bekommen wir dort noch einen Tisch.
Unter der Lupe: der Service. Mit der Geduld einer routinierten Altenpflegerin geht die studentische Aushilfskraft auf mich ein. Das schafft Sympathie und lässt die architektonischen Mängel ein bisschen in den Hintergrund rücken. Die Speisekarte kennt sie, doch vom Wein (wie sollte es auch anders sein, wenn man eigentlich Politologie studiert) hat sie keine Ahnung. Sie schickt uns einen Kollegen, der sich als Autodidakt mit dem Thema auseinandergesetzt hat und sich wohl um den Einkauf kümmert. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle abbrechen und gehen. Liebe Gastronomen, Ihr macht Eure Gäste zu Biertrinkern. Sind die 60 € Aufpreis fürs Öffnen der Flasche? Aber nichts für ungut, der Mann müht sich redlich, die Weinempfehlung ist durchaus kompetent.
Unter der Lupe: der Koch. Ein Weltreisender. Auf dem Schiff war er. Der Aquavit wird zum «Linie», indem er den Äquator überquert. Der Koch hat offensichtlich seine «Linie» bei der Überquerung desselben verloren. Ein Sammelsurium an Gerichten aus aller Welt. Nur ein Land hat er vergessen zu bereisen, nämlich eines, in dem man sich vegetarisch ernährt.
Beim Lesen lief mir wieder das Wasser im Mund zusammen. Während Elissa Bedienung, Koch und Wein-Einkäufer gnadenlos durch den Abend scheuchte, ließen wir uns die Rote-Bete-Suppe mit Räucherente ( 4 , 90 €) munden sowie eine Portion beim Grillen mit Yak-Salz bestreuter Sardinen mit Gremolata ( 7 , 90 €, «die Tunke hat etwas viel Knoblauch abbekommen, dafür war der Fisch aber gut gegart», so Elissa in ihrem Artikel), ein deftiges Rindersteak mit Steckrüben ( 28 , 00 €) und eine Wachtel ( 25 , 90 €), die laut Elissa zwar für sich betrachtet gut gemacht waren, in ihrer Kombination aber keinen Sinn ergaben. Mit der Beurteilung des Desserts endete der Bericht:
Die Portionen waren mächtig, dennoch entschloss ich mich, noch eine weiße Schokomousse mit Kirschen zu probieren, um Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin meiner Kolumne, einen allumfassenden Einblick geben zu können. Wir hätten es auch lassen können. Sie war nichtssagend.
Insgesamt also ein recht gemischtes Restauranterlebnis. Im Moment würde ich noch ins Zeugnis schreiben: «Sie bemühten sich stets …» Doch ist das Potenzial spürbar. Ich denke, nein, ich wünsche mir, dass aus dem «Quartett» etwas wird. Ich werde wiederkommen und erneut berichten.
Ihre E. Brecht
Es war ein wunderbarer Abend gewesen, und ich erinnerte mich, dass ich permanent Angst gehabt hatte, eine der Kellnerinnen könnte das Aufnahmegerät
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