Mein Leben in 80 B
populäreren Läden verkleiden musste, wenn sie testen ging, damit sie keine Sonderbehandlung bekam. Daher versuchte sie mit kleinen Mitteln, ihre Optik zu verändern: eine dicke schwarze Brillenfassung hier, eine blondgelockte Perücke da oder ein unvorteilhaft geschnittenes Kleid, das sie geschätzte zehn Kilo dicker aussehen ließ. Ihre Verkleidungen sorgten immer für riesigen Spaß, wenn ich sie besuchte und zum Restauranttesten mitkam.
Kurz vor Weihnachten würde Elissa also ihren vierzigsten Geburtstag feiern, und seit Wochen nötigte sie mich, dabei zu sein. Ich hatte ihr mehrfach zu erklären versucht, dass ich Toni und die Kinder unmöglich allein lassen konnte, und nun kam sie mit einer neuen Idee. Oma Nudel hieß bei uns eigentlich Oma Etti – von Oma Spaghetti, weil sie immer Spaghetti in verschiedensten Variationen zubereitete, wenn sie bei uns war. Und Oma Etti kam gern für ein paar Tage zu uns nach Falkensee, um auf die Kinder aufzupassen, wenn ich Toni auf einer Reise begleitete. Meine Eltern waren für so etwas nicht zu haben. Sie hatten sich getrennt, als ich gerade achtzehn geworden war, und ich hatte so schnell wie möglich eine eigene Wohnung gesucht, um weder meiner Mutter noch meinem Vater weiteren Anlass für Streitereien zu bieten. Umso mehr freute ich mich über das enge und liebevolle Verhältnis zu Tonis Eltern, besonders zu Oma Etti. Allerdings hatte ich Elissa schon auf frühere Mails geantwortet, dass die Omi aus Italien auch älter wurde und so kurz vor Weihnachten sicher keine Lust auf einen Trip ins kalte Norddeutschland hatte. Im Übrigen hatte ich selbst bestimmt zu viele Party-Termine in der Adventszeit, sodass mir wirklich die Ruhe fehlte, um zu einer Feier nach Sylt zu fahren. Aber je näher Elissas Geburtstag heranrückte, desto mehr verstärkte sie den Druck auf mich. Ich bräuchte Abwechslung und eine Pause vom Familienleben, eine Auszeit von den Kindern, und die Wäschepartys seien ja finanziell ohnehin nicht vonnöten. Außerdem war sie der Meinung, dass jede Ehe ab und zu etwas Abstand benötigte, um die Liebe frisch zu halten.
Dabei hatte meine Freundin von Ehe und Partnerschaft ungefähr so viel Ahnung wie ein Frosch vom Fliegen. Sie war nie verheiratet gewesen, hatte es nie länger als ein paar Monate in einer Beziehung ausgehalten, und schon als Schülerin war sie der Überzeugung gewesen, dass man ohne Kinder einfach besser dran sei. Mit Männern hielt sie es wie mit dem Essen: genießen und immer wieder neue Menüs und Zubereitungsarten probieren. Bewertet wurden die Herren ebenfalls nach dem Service, und wenn der dann aus Gewohnheit nachließ, war es nach Elissas Verständnis Zeit für einen Lokalwechsel.
Dennoch kam ich nach der erneuten Einladung ins Grübeln. Vielleicht war es ja tatsächlich eine gute Idee, an die Nordsee zu fahren und Elissa zu besuchen. Sich wieder einmal Westerland ansehen, frische klare Nordseeluft schnuppern, Strandspaziergänge machen, ein paar Weihnachtseinkäufe erledigen, über alte Zeiten plaudern und sich mal richtig gehen lassen. Früher war ich mit Elissa in den Ferien oft nach Sylt gefahren. Wir waren in der Jugendherberge in Rantum gewesen oder auf dem Campingplatz in Westerland gleich hinter den Dünen. Dann hatten wir uns am Strand gegenseitig mit Sonnencreme eingerieben und dabei nach tollen Jungs Ausschau gehalten, die wir nach ihren Strandkorbnummern benannten. Dazu lief auf dem mitgebrachten Ghettoblaster die Neue Deutsche Welle rauf und runter.
Spliff
, Nena, Markus und Hubert Kah waren die musikalischen Helden dieser Sommer.
Die Vorstellung, für ein paar Tage so zu tun, als wären wir jugendliche Singles, hatte schon etwas für sich. Ausschlafen, ohne sich für den Schulanfang den Wecker zu stellen, nicht überlegen, was am Wochenende gekocht werden sollte, und nicht darauf achten, ob Tom sich die Zähne geputzt hatte. Andererseits war Tom doch noch so klein und schlief abends ohne mich schlecht ein. Und Hanna tat zwar immer so, als wäre ich ihr scheißegal, aber wenn ausgerechnet jetzt der erste Liebeskummer über sie hereinbräche, und ich wäre nicht zu Hause?
Nein, es ging einfach nicht. Toni hatte kurz vor dem Jahresende viel zu viel Arbeit in der Agentur, die zusätzliche Belastung der Kinderbetreuung konnte ich ihm auf keinen Fall zumuten. Und Oma Etti hatte sich schon für das Frühjahr angekündigt, vielleicht konnte ich dann ein paar Tage nach Nordfriesland fahren. Noch eine Reise durfte ich meiner
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