Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Riesenschlange, dann in eine Kröte. Jetzt ist es für die Götter ein Leichtes, ihn zu überwältigen: Sie bringen Alberich an die Oberwelt.
4. Szene: Als Lösegeld für seine Freiheit erpressen Wotan und Loge von Alberich das Rheingold. Sowie Wotan ihm den Ring entreißt, spricht der Zwerg einen zweiten Fluch aus («Wie durch Fluch er mir geriet, /verflucht sei dieser Ring!»). Die Riesen kehren mit Freia zurück und verlangen, dass das aufgetürmte Gold deren Gestalt vollständig verdecken müsse. Als ganz zum Schluss noch Freias Auge zu sehen ist, fordern sie auch das letzte Stück, den Ring. Wotan weigert sich und wird von Erda eindringlich gewarnt («Alles was ist, endet»). Nachdem er den Riesen schließlich den Ring überlassen hat, erfüllt sich Alberichs Fluch: Im Streit erschlägt Fafner seinen Bruder Fasolt, der erste Mord in einer an Leichen nicht eben armen Geschichte. Freia aber ist gerettet, und die Götter ziehen nach einem mächtigen Gewitter in ihre Burg ein. Loge folgt ihnen mit Abstand («Ihrem Ende eilen sie zu»), während in der Tiefe die Rheintöchter um den verlorenen Schatz trauern.
Was ist das Thema hier? Es geht um das Verhältnis von Erotik und Macht. Den Verlust der Unschuld, die Schändung der Natur, die Dekadenz eines erstarrten Systems. Macht um der Macht willen, das kann nicht gut gehen. Und es geht nicht gut, wie wir wissen. Das «Rheingold» erzählt von Göttern, Nixen und Zwergen, einer mythischen, märchenhaften, gleichsam abgehobenen Situation. Das «Rheingold» könnte aber beispielsweise auch Dominique Strauss-Kahn meinen, den einstigen Chef des Internationalen Währungsfonds, in seiner Suite im 88. Stock in Manhattan, im Hintergrund blubbert der Whirlpool, drei schnuckelige Zimmermädchen betreten den Raum, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Die Szenen im «Rheingold» sind bildhaft und aus sich selbst heraus verständlich: Da liegt das Gold – schwupp! hat Alberich es geklaut; da hockt die Kröte – zack! wird sie von Wotan und Loge überwältigt. Erst in der «Walküre» geht Wagner dazu über, dieses Bühnen-Jetzt durch Rückblenden und Rekapitulationen, durch Ausblicke und Antizipationen zu durchwirken und in Frage zu stellen. Dem «Bühnenfestspiel» wächst so eine Geschichte zu.
«Erster Tag: Die Walküre»
In meiner musikalischen Farbenlehre ist die «Walküre» rot, knallrot. Die Dramaturgie wird komplexer, das Geschehen gliedert sich in Aufzüge und Szenen, die Musik übernimmt selbst die Rolle einer «handelnden Person». Es gibt an diesem «Ersten Tag» prominente «Nummern», die musikalisch spektakulär inszeniert werden, dramaturgisch aber keine Folgen haben, wie zum Beispiel den Walkürenritt. Zu Beginn des dritten Akts schleppen die Walküren die gefallenen Helden nach Walhall, und Wagner macht aus dem Vorspiel zu diesem Akt eine schwefelig dampfende Tondichtung: Als hallte das Schlachtengetümmel der ganzen Welt im Göttergebirge wider, so stampft hier das schwere Blech, kracht der Donner, schäumen die Rosse und schleudern die Wotan-Töchter ihre «Hojotohos!» in den Bühnenhimmel. Was für ein mänadischer Schlachtruf, was für eine Entfesselung! Und überhaupt, was für ein Motiv, was für ein Signet: Ta-taa-tata-taa-ta! Kein Wunder, dass sich die Filmgeschichte von der Deutschen Wochenschau bis zu Francis Ford Coppolas «Apocalypse Now» seiner so ausführlich bedient hat.
Auch an Gegenbeispielen zu solch exzessiven Tonmalereien ist die «Walküre» reich, und daran mag man die Weite ihres ästhetischen Horizonts ermessen. Die große Wotan-Erzählung im zweiten Akt etwa («Als junger Liebe /Lust mir verblich») stellt eines der Hauptscharniere im ganzen «Ring» dar, einen regelrechten Verständnistrichter: Hier legt der Göttervater sein Herz auf den Tisch, hier erklärt er, was war und was sein wird. Theatralisch passiert dabei nicht viel, es wird geredet, Wotan mit Brünnhilde, Brünnhilde mit Wotan. Trotzdem ist diese knappe halbe Stunde unglaublich spannend, was man schon daran sieht, dass sich das Orchester über weite Strecken extrem zurücknimmt. Immer wenn es bei Wagner drauf ankommt, wird die Musik wenig, das kennen wir schon. Zwei klaftertiefe Generalpausen, ein ersterbendes Piano, und es ist da, «das Ende – – /das Ende» Wotans. Im Kino wäre das die totale Nahaufnahme, ein Close-up auf das Gesicht des verzweifelten Gottes. Bei Wagner ist es Exhibitionismus mit Noten, die reine Pornographie (ohne Sex natürlich). Man
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