Mein Leben mit Wagner (German Edition)
der nichts und niemanden fürchte. Ihm werde Brünnhilde angehören.
Worum geht es? Die «Walküre» sei von allen Werken Wagners das «pathetischste, tragischste», notiert Cosima 1873, und das ist wohl ein Hinweis auf die klassische Dramentheorie, mit der Wagner es im «Ring» durchaus aufnehmen will. Demnach müssen eine Steigerung her und ein erster Höhepunkt. Es geht um Liebe über jedes Gesetz hinaus (beim Inzest des Wälsungenpaars und Brünnhildes Aufbegehren gegen den Vater). Es geht um den Versuch, das Unheil einer «liebelosen», einzig politischer Ranküne und kaltblütigem Profitdenken verpflichteten Welt doch noch abzuwenden. Und es geht um die Einsicht in die Vergeblichkeit, ins vorprogrammierte Scheitern dieses Versuchs. In der «Walküre» fehlt das Böse in Gestalt des Zwergen Alberich, was seine Präsenz aber nicht etwa mindert, sondern potenziert. Außerdem führt Wagner, zumindest mittelbar, ein neues Geschlecht ein. Siegmund und Sieglinde sind halb göttlich, halb menschlich geboren. Ihr Sohn Siegfried wird Wotans Macht einst brechen und sich seinen Weg zu den Menschen bahnen – allerdings erst in der übernächsten Oper.
«Zweiter Tag: Siegfried»
Von knallrot zu burgunderrot: Der «Siegfried» war für mich von Anfang an der schwerste Teil des ganzen «Rings» und ist es geblieben. Vier Stunden lang hat man immer nur zwei Personen auf der Bühne, meistens Männer. Das kann ermüden, da kommt man als Dirigent in den Details leichter durcheinander als an den anderen Tagen: Siegfried – Mime, Mime – Wanderer, Alberich – Wanderer, Siegfried – Fafner, Erda – Wanderer, Siegfried – Brünnhilde, das ist in groben Zügen die Abfolge. Besonders der erste Akt mit seinen dauernden Rhythmus- und Tempowechseln ist verflixt kleinteilig komponiert. Eine Burleske eben, eine Groteske, mit Mime als Siegfrieds tückischem Erziehungsberechtigten, mit dem Göttervater als Wanderer (und heimlichem Großvater des Helden) und mit Anarcho-Siegfried selbst, dem seine Initiation erst noch bevorsteht. Eine irre Konstellation! Und dann der Kampf mit dem Drachen im zweiten Akt, das mythische Blut, das Siegfried zum Manne macht. Jeder Psychoanalytiker würde hier frohlocken.
Eine der tollsten Stellen im gesamten «Ring» ist für mich das kurze Vorspiel zum dritten Akt (immer diese Vorspiele zu den dritten Akten – «Lohengrin», «Tristan», «Meistersinger», «Walküre»!). Hier spielt zum ersten Mal das ganze Orchester, sehr düster und pompös. Das volle Tutti gibt es entgegen anderslautenden Vorurteilen bei Wagner ja äußerst selten. Alle acht Hörner zusammen, also vier Hörner plus vier Tuben, dazu Basstuba und Posaunen, das ist höllisch laut – und soll es auch sein. Alle Wände der Welt wackeln, während der Klang im ersten und zweiten Akt strategisch mehr zerbröselt. Und weil es so wackelt und weil Wotans Schicksal in diesem dritten Akt besiegelt wird, kommt auch der Dirigent an seine Grenzen. Das fasziniert mich bei Wagner immer wieder: wie er es schafft, die Kunst und das Kunstmachen so zu synchronisieren, dass man am eigenen Leib spürt und erfährt, worum es geht. Das Mittel mag simpel sein, aber es wirkt: Der dritte Akt ist so lang, dass der Dirigent ab einem gewissen Punkt gegen das Schwächeln seiner Kondition ankämpfen muss. Ich merke, ich habe keine Kraft mehr, einfach weil ich keine Kraft mehr habe. Ich bin am Ende, wie Wotan am Ende ist. Nur kann ich mich nicht wie er auf Nimmerwiedersehen aus der Geschichte verabschieden. Ich muss bleiben und die Sache zu Ende führen. Und beim nächsten Mal besser haushalten mit meinen Ressourcen.
Besetzung
Zu den Zwergen Mime und Alberich, zum Riesen Fafner, der sich inzwischen in einen Drachen verwandelt hat, zur Urmutter Erda und der Walküre Brünnhilde tritt nun Siegfried, der Held, eine der anspruchsvollsten Partien für dramatischen Tenor, die Wagner je geschrieben hat. Wotan durchstreift als anonymer Wanderer die Welt, ein Waldvogel (Sopran) erhebt seine Stimme.
Im Orchester ändert sich wiederum nichts. Das Schlagwerk ist das des «Rheingolds», auf der Bühne spielen Englischhorn und Horn.
Handlung
Der «Zweite Tag» trägt sich in einer Höhle im Wald zu, im tiefen Wald selbst, in einer wilden Gegend am Fuße eines Felsenbergs sowie auf dem Brünnhildenfelsen – eine hoch romantische Szenerie. Die drei Akte sind in sich wieder vollständig durchkomponiert, abermals gibt es zwei Pausen.
Vorgeschichte: Sieglinde hat in
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