Mein Leben mit Wagner (German Edition)
«Walküre» denkt man vielleicht am ehesten an Beethoven, im «Siegfried» an Carl Maria von Weber, und die «Götterdämmerung» marschiert dann schon recht entschlossen Richtung Brahms und Bruckner (Wagner würde mich töten für diesen Vergleich). So gesehen schlägt der «Ring» für mich auch eine Schneise durch den deutschen Klang, er zeigt dessen Extreme und Facetten, vom Leichten und Spielerischen bis zum Schweren, Ernsten und Bedeutungsschwangeren. Der deutsche Klang, das lehrt Wagner, ist nie nur das eine und nie nur das andere. Das könnten sich die Apologeten des musikalischen anything goes ruhig hinter die Ohren schreiben.
«Holländer», «Tannhäuser», «Lohengrin», «Tristan», «Meistersinger»: Mit dem «Ring» fängt Wagner noch einmal ganz von vorne an. Satztechnisch, in der Orchesterbehandlung, von den Dimensionen her, harmonisch, alles ist anders. Als er den «Ring» komponierte, hatte Wagner kein Orchester zur Hand, um zu überprüfen, ob das, was er sich vorstellte, auch funktionierte. Alles spielte nur in seinem Kopf. Als er ihn 1876 dann zu hören bekam, änderte er manches – und hätte sicher das eine oder andere auch später noch gerne geändert. Ich finde es jedoch müßig, darüber zu spekulieren. Wir haben uns dem Werk zu stellen, wie es ist, und diese Aufgabe ist schwer genug.
Entstehung
Wann und wo begegnen wir dem Schöpfer des «Rings»? In Dresden, noch vor den Mai-Aufständen von 1849, wo Wagner die «Edda», das «Nibelungenlied», nordische Sagen und Hegels «Philosophie der Geschichte» studiert und von einer Gesellschaft träumt, die sich nicht länger in «Mächtige und Schwache, in Berechtigte und Rechtlose, in Reiche und Arme» spaltet? Im ersten schweizerischen Exil, wo er seine Kunstanschauung formuliert und ihm mit Mathilde Wesendonck die Utopie der Liebe begegnet? In München, wo sich seine politische Gesinnung an seinem Lebensstil als Hofkünstler Ludwigs II. reibt? Im zweiten schweizerischen Exil, wo er Cosima gewinnt, Schopenhauer liest und Nietzsche kennenlernt? Oder doch erst in Bayreuth, wo sein «Wähnen» 1872 Frieden findet und er sein Denken institutionalisiert?
Überall, muss die Antwort lauten. Der Wagner des «Rings» ist der ganze Wagner. Im «Ring» spiegelt sich alles, Spiel- und Märchenoper, Musikdrama und «unsichtbares Orchester», Göttermythos und Heldensage, Revolution und Repräsentation.
Die Entstehung der Tetralogie zieht sich fast drei Jahrzehnte lang hin. Wagner war 34 und Anarchist, als die «Heldenoper» «Siegfrieds Tod» in seinem Kopf herumzuspuken begann – und er war 63 und «Staatsmusikant», wie Karl Marx spottete, als der «Ring» uraufgeführt wurde. Allein die Energie aufzubringen, von einem solchen opus summum nicht abzulassen! Den Faden immer weiterzuspinnen, selbst über eine fast zwölfjährige Unterbrechung hinweg (als er den «Tristan» und die «Meistersinger» schrieb). Was hat dieser Mensch für einen Willen gehabt, was für eine innere Herkulesstärke! Allerdings darf man sich nicht täuschen, auch Wagner spürte die Zentnerlast: «Dieses Nibelungen-Komponieren sollte längst vorüber sein, es ist ein Wahnsinn, oder ich müsste gemacht sein, wild wie Beethoven», zitiert ihn Cosima 1872. Ich glaube nicht, dass er hier kokettiert, ich denke vielmehr, dass er wie jeder Künstler unter der ihm auferlegten Verantwortung auch litt. Jedenfalls kann ich das gut nachvollziehen. «Meiner eignen Bildung zu leben, meines Glückes mich zu erfreuen, das wäre mein Trieb», fährt Wagner fort und schickt einen vielsagenden Seufzer hinterher: «früher war es anders». Früher wollte er die Welt verändern, heute würde er sich selbst genügen – heißt es das?
Auf erste Kompositionsskizzen zu «Siegfrieds Tod» (der späteren «Götterdämmerung») folgt im Mai 1851 der Prosaentwurf zu «Der junge Siegfried» (dem späteren «Siegfried»), und Wagner erkennt, dass er den ganzen Mythos braucht, um die Geschichte seines Helden zu erzählen. Er beginnt, eine Trilogie mit Vorspiel zu planen, vier Opern, die ein Gesamtkunstwerk ergeben sollen. Interessanterweise bewegt er sich in der Textarbeit von hinten nach vorn, von «Siegfrieds Tod» ausgehend rückwärts, während er beim Komponieren chronologisch arbeitet. Textlich weiß das «Rheingold» also mehr als die «Götterdämmerung», musikalisch hingegen verhält es sich umgekehrt – eine Gegenläufigkeit, die ich als inspirierend empfinde. Als würde sich die Musik
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