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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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schneller). Wagner scheint mit Levi zufrieden zu sein, bemängelt lediglich, er dirigiere zu sehr «mit dem Arm» und zu wenig aus dem Handgelenk heraus. Levi stirbt 1900 in Partenkirchen.
    Über F RANZ F ISCHER (1849–1918), den nächsten in der Reihe, ist es schwer, viel herauszufinden. Dann aber kommt F ELIX M OTTL , 1856 in der Nähe von Wien geboren, akkurater Seitenscheitel, Schnauzbart, Kneifer auf der Nase. Er leitet 1886 die Bayreuther Erstaufführung des «Tristan» und ist der Einzige – bis heute! –, der auf dem Grünen Hügel alle zehn Musikdramen des Wagnerschen Kanons dirigiert hat, also alle Werke, die traditionell bei den Festspielen aufgeführt werden. Neben Levi, Heinrich Porges und Julius Kniese gehört Mottl 1876 der «Nibelungenkanzlei» an, jenem Kreis talentierter Nachwuchskräfte, die Wagner bei Partiturreinschriften, Klavierauszügen und überhaupt bei der Vorbereitung des «Rings» helfen. Mottls Tagebücher stellen (wie Porges’ Erinnerungen an «Das Bühnenfestspiel in Bayreuth») eine spannende Quelle dar, durch die man sich ein Bild von Wagners Ansprüchen machen kann. Zwei Probenbemerkungen des Meisters sind besonders aufschlussreich. Einmal soll er gesagt haben: «Wenn Ihr nicht alle so langweilige Kerle wärt, müsste das Rheingold in zwei Stunden fertig sein.» Das ist kühn, um nicht zu sagen: tollkühn. Unmöglich! Zumindest würde ich für das «Rheingold» wenigstens zweieinhalb Stunden veranschlagen. Aber es zeigt, dass Wagner immer eher flüssig unterwegs war. Und die zweite Bemerkung: «Stimmung ist gar nichts. Die Hauptsache ist und bleibt Kenntnis.» Ein Satz, dessen Tragweite man vor allem in Bayreuth begreifen lernt. Mottl, inzwischen Felix von Mottl, starb 1911 in München, nachdem er während seines 100. «Tristan»-Dirigats am Pult zusammengebrochen war. Ein halbes Jahrhundert später ereilt Joseph Keilberth das gleiche Schicksal. Ein schöner Tod? Ich weiß nicht.
    Noch einen Schritt nach links, und ich stehe vor R ICHARD S TRAUSS , der 1864 in München geboren wurde. Strauss assistiert 1889 bei den Festspielen und leitet 1894 fünf Vorstellungen des «Tannhäuser», in denen seine spätere Frau Pauline de Ahna die Elisabeth singt. Cosima Wagner schätzt den schlaksigen Bayern sehr, was sich auch darin ausdrückt, dass sie – vergeblich – versucht, ihn mit ihrer Tochter Eva zu verkuppeln. Das Familiäre spielte auf dem Grünen Hügel eben immer schon eine große Rolle. Wie Wagner ist Strauss ein typischer Komponisten-Dirigent, berüchtigt für sein unprätentiöses Taktschlagen und seine flotten Tempi (nachzuhören in einigen historischen Aufnahmen, vor allem wenn er eigene Werke dirigiert). «Nicht ich bin im ‹Parsifal› schneller», rechtfertigt er sich später, «sondern ihr in Bayreuth seid immer langsamer geworden. Glaubt mir, es ist wirklich falsch, was ihr macht.» Das war 1933/34, als Strauss für Toscanini einsprang und neben dem «Parsifal» auch Beethovens Neunte Symphonie im Bayreuther Festspielhaus dirigierte (in Anlehnung an den 22. März 1872, als Wagner zur Grundsteinlegung des Festspielhauses selbst die Neunte dirigiert hatte, unten in der Stadt, im Markgräflichen Opernhaus). Dass mit Hitlers «Machtergreifung» im Wagnerfach nur mehr ein sentimentaler, pathetisch-wabernder, «brauner» Stil gepflegt worden sei, greift also entschieden zu kurz. Dem ideologischen Missbrauch des Werks entsprach nicht notgedrungen seine interpretatorische Entstellung. Strauss stirbt, hoch betagt und schwer vermögend, 1949 in Garmisch-Partenkirchen.
    Eng befreundet ist er anfangs mit Bayreuths Thronfolger S IEGFRIED H ELFERICH R ICHARD W AGNER , dem einzigen Sohn Wagners, der 1869 in Tribschen zur Welt kam. Siegfried war Komponist, Dirigent, Regisseur, Bühnenbildner, Festspielleiter – wie sein Vater. Eine schillernde Figur, aber kein Genie. Vor allem als Komponist fühlt er sich verkannt und «von den Hoftheatern totgeschwiegen» und schiebt die Schuld dafür unter anderen Strauss in die Schuhe: Tieftraurig sei er, dass der «Parsifal» auf Brettern gespielt werden dürfe, «über die die ekelhafte Salome gegangen ist, und die Elektra, die man nicht anders nennen kann als eine Verhöhnung des Sophokles, eine Profanation des gesamten Klassizismus. Mein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er von dem Niedergang erfahren könnte, der in den Opern von Richard Strauss zum Ausdruck kommt ‹…› Seit wann ist Kunst identisch mit Schmutz?» 1894

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