Mein Leben mit Wagner (German Edition)
lässt Cosima ihren Sohn während einer «Lohengrin»-Probe am Pult einspringen, mit Erfolg, 1896 debütiert Siegfried als Festspieldirigent (und zwar gleich mit dem «Ring»). Seine Verdienste freilich liegen auf anderen Gebieten: Zum einen verhindert er – seiner Homosexualität zum Trotz – das Aussterben der Wagner-Dynastie, indem er als Mittvierziger die 18-jährige Winifred Williams Klindworth ehelicht und mit ihr vier Kinder zeugt: Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena. Zum anderen betätigt er sich sowohl in Bühnen- wie in Regiefragen als sanfter Reformer. Am wichtigsten aber ist, dass Siegfried die ökonomische Existenz der Festspiele ab 1924 sichert. 1913 (wie damals noch üblich 30 Jahre nach dem Tod des Urhebers) erlosch das «große Recht» an Wagners Werk; die Inflation galoppierte, man musste sich nach anderen Geldquellen umtun. Siegfried kündigt an, das Familienunternehmen in eine «Richard-Wagner-Stiftung des deutschen Volkes» umzuwandeln, sammelt Spenden, treibt Tantiemen für seine eigenen Werke ein, geht auf Vortragsreisen und dirigiert ausgedehnte Tourneen, die ihn bis in die USA führen (wenngleich er dort etliche potenzielle Sponsoren durch seinen Antisemitismus abschreckt). Erst 1928 steht er in Bayreuth wieder selbst im «mystischen Abgrund», dem Orchestergraben des Festspielhauses – zum letzten Mal. Er stirbt am 4. August 1930, im selben Jahr wie seine Mutter Cosima, nach einem während der Festspielproben erlittenen Herzinfarkt.
A NTON S EIDL heißt der Nächste, üppige Haartolle, bemerkenswerter Backenbart. Er wird 1850 in Pest geboren, stirbt 1898 in New York – und dirigiert nur einen Sommer lang in Bayreuth, den «Parsifal» 1897. Seidl macht vor allem als Mitglied des legendären «Wandernden Wagner-Theaters» Furore. Zu der Truppe gehören Chor und Orchester sowie eine komplette Bühnenausstattung samt Technikern. Man bereist in den 1880er Jahren ganz Europa, Seidl dirigiert 135 Mal den «Ring» – alle wollen Wagner! Auf ganz so stolze Zahlen kommt D R . K ARL (C ARL ) M UCK nicht, dafür prägt er mit seinen ausufernden, geradezu antikischen Zeitmaßen die Ära von 1901 bis 1930, hauptsächlich als «Parsifal»-Dirigent. Muck, Jahrgang 1859, markantes Gesicht, der erste in der «Verbrechergalerie» ohne Bart, formuliert ein ziemlich pathetisches Credo: «Das Wichtigste in Bayreuth ist, dass die dort Berufenen mit dem Bayreuther Gedanken übereinstimmen; dass ihnen die in den Schriften niedergelegten künstlerischen Lehren des Meisters ebenso geistiger Besitz geworden sind wie die Partituren der Werke; und dass sie zu der Arbeit im Festspielhause die bescheidene Demut und den heiligen Fanatismus der Gläubigen mitbringen.» Muck stirbt 1940.
Zu seiner Linken: M ICHAEL B ALLING , 1866–1925. Der Bratschist wird von Felix Mottl entdeckt, macht sich um Wagner auf den britischen Inseln verdient und heiratet die Witwe Hermann Levis. Sehr viel mehr weiß man über ihn nicht. Und auch F RANZ B EIDLER (1872–1930) wird hauptsächlich als Ehemann bekannt, von Isolde von Bülow, der ersten Tochter Cosimas mit Richard Wagner. Da Isolde noch während Cosimas Ehe mit Hans von Bülow zur Welt kam, wurde sie als Wagner-Erbin nicht anerkannt (was die Mutter persönlich bei Gericht durchsetzte). Somit blieb auch Richard Wagners erster Enkel, Isoldes Sohn Franz Wilhelm, von der Erbfolge ausgeschlossen. Ob er die Geschicke auf dem Grünen Hügel anders gelenkt hätte?
Den folgenden Kandidaten «mögen die Wagners gar nicht!», wie die Sängerin Emmy Krüger 1924 berichtet (obwohl er so hübsch deutsch und blond aussieht). F RITZ B USCH , 1890 in Siegen geboren, Generalmusikdirektor der Dresdner Semperoper bis 1933, tut sich schwer in Bayreuth, beklagt die mangelhafte künstlerische Qualität und gerät mit Muck wie mit Siegfried Wagner heftig aneinander. Wer Buschs Aufnahmen kennt, ahnt, dass auch seine «Meistersinger» aus dem Rahmen jeder Weihe fielen: hoch empfindsam dirigiert, akribisch in der Textbehandlung, forsche Tempi. Als er vorschlägt, für 1925 Arturo Toscanini einzuladen, wird ihm das ebenfalls wenig freundlich ausgelegt. Acht Jahre später aber, als Toscanini nach der «Machtergreifung» sein Bayreuth-Mandat aufkündigt, besinnt man sich wieder auf Busch. «Die Hand hielt mir alles hin, was ich mir gewünscht hatte; und ich wusste, dass ich es nicht nehmen würde», schreibt er wehmütig in seinen Erinnerungen. Er sagt ab, emigriert bald darauf und stirbt 1951
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