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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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«Ring», «Parsifal» und «Lohengrin», 1943/44 die «Meistersinger» sowie nach dem Krieg zweimal Beethovens Neunte. Insgesamt rund 70 Auftritte. Doch Furtwänglers Weg zu Wagner ist lang und krisengeschüttelt. Auch und gerade in Bayreuth warten zahllose Schwierigkeiten auf ihn. Machtkämpfe mit Winifred und Tietjen sind an der Tagesordnung, Zerwürfnisse ebenso, außerdem geht Furtwänglers Taktik nicht auf, sich der Nazis immer nur da zu bedienen, wo sie seiner Karriere förderlich sein können. Die Szene ist legendär und vielsagend: Furtwängler dirigiert 1942 am Vorabend von Hitlers Geburtstag vor der versammelten NS-Prominenz in Berlin Beethovens Neunte – und wischt sich hinterher die Hand ab, die er Joseph Goebbels von der Bühne herunter hat reichen müssen. Wilhelm Furtwängler, so erinnert sich seine Witwe Elisabeth viele Jahrzehnte später, habe es einfach nicht übers Herz gebracht, «seine Leute» im Stich zu lassen. Andere nicht-jüdische Kollegen wie Erich Kleiber oder Fritz Busch emigrierten frühzeitig, Furtwängler blieb da.
    Begonnen hatte für ihn alles, als der Vater dem Jugendlichen Karten für den «Ring» am Münchner Hoftheater schenkte. Franz Fischer stand damals am Pult, namhafte Sänger wirkten mit. Diese vier Aufführungen, erinnert sich Furtwängler 1936, hätten seine Wagner-Illusion und -Liebe «gründlich zerstört auf Jahre hinaus». Warum? Weil ihnen jedes «echte Pathos» gefehlt habe, weil alles «Theater, nichts als Theater» gewesen sei. Überhaupt stelle es ein «tiefes Missverständnis» dar, ja eine «Fälschung», so Furtwängler drei Jahre später, 1939, wenn man den Musiker, den Dichter Wagner als «Mann des Theaters» denunziere. Mit anderen Worten: Furtwängler misstraute der Gleichberechtigung von Wort, Musik und Szene, wie sie im Wagnerschen Gesamtkunstwerk angelegt ist. Er setzte auf das Primat der Musik. Eine Einstellung, die sich natürlich auf seine Interpretationen auswirkte – und auf deren Rezeption. Furtwänglers Wagner gilt bis heute als «subjektiv», «pathosselig», «romantisch», «symphonisch» oder «wilhelminisch», seine Tempi als unstet und «willkürlich», seine Rubati als maßlos, seine Sängerbehandlung oft als nachgeordnet. Mich ärgert es, dass man hier nicht stärker differenziert. Furtwängler ist nicht gleich Furtwängler, das zeigt schon ein simpler Zeitenvergleich: Seinen ersten Bayreuther «Ring» 1936 absolviert er in 14 Stunden und 26 Minuten (davon 2’36 für das «Rheingold»), damit ist er um drei Minuten schneller als Hans Richter bei der Uraufführung. Für seinen letzten, konzertanten «Ring» hingegen, 1953 von der RAI in Rom mitgeschnitten, benötigt er 15 Stunden und sechs Minuten, also 40 Minuten länger. Und das, obwohl szenische Aufführungen grundsätzlich mehr Zeit beanspruchen und die Akustik des Bayreuther Festspielhauses traditionell zum Schleppen verführt. Furtwänglers Entwicklung dürfte daraus klar werden: breiter, langsamer, ausführlicher. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Wahl eines Tempos immer relativ ist, und nicht selten widersprechen sich absolute und gefühlte Zeiten. Vielleicht wähnte sich Furtwängler am Ende viel näher bei Wagner, als die Statistik es glauben macht und wir es wahrnehmen. Den Dirigenten Wagner jedenfalls hätte er gerne erlebt, denn, so schreibt er 1918 in einem Aufsatz über Beethoven, Wagner habe «als erster auf jenen leisen und doch beständigen Wechsel des Zeitmaßes hingewiesen, der allein imstande ist, aus dem starren, klassischen, gleichsam nach gedruckter Vorlage gespielten Stück Musik das zu machen, was es eigentlich ist, ein Entstehen und Wachsen, ein lebendiger Vorgang». Jedes einzelne Wort davon möchte ich unterschreiben. Furtwängler, der Dionysische, der «Zögerer» (wie sein Antipode und Nachfolger Herbert von Karajan ihn gern nannte), stirbt 1954.
    Wie sehr der «Fu» sich seiner Stellung und seines Einflusses bewusst war, zeigt ein für beide Seiten wenig schmeichelhaftes Urteil über einen Kollegen: Dieser sei «doch kein Dirigent, sondern ein Organisator und höchstens noch ein Schleicher», so empört sich Furtwängler 1937 in einem Brief an Goebbels. Was wenig nützte: Der Bayreuther «Ring» der Jahre 1938, 1939 und 1941 ging trotzdem an Görings Protegé HEINZ TIETJEN (geboren 1881), den sagenhaften Generalintendanten aller preußischen Staatstheater seit 1927, den künstlerischen Leiter der Festspiele von 1931 bis 1944 – und den

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