Mein Leben mit Wagner (German Edition)
widerrufen. Erst sollte, nach Wolfgangs Wille, Gudrun die Geschäfte übernehmen, dann hatte sich die Politik Eva Wagner-Pasquier ausgeguckt, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe. Beide Lösungen scheiterten, die Politiker bissen sich die Zähne aus, der «Alte» grollte und pochte auf seinen Vertrag – ein Patt. 2008 schließlich einigte man sich, jeder lenkte ein bisschen ein, niemand verlor sein Gesicht: Eva und Katharina sollten es gemeinsam machen. «Schwesternblut ist dicker als Kusinenwasser», schrieb damals die «FAZ» in Anspielung auf Wielands Tochter Nike, die mit ihrer Bewerbung an der Seite von Gerard Mortier gescheitert war.
Für uns, die wir in diesen Jahren auf dem Grünen Hügel gearbeitet haben, stellte sich die Situation oft schizophren dar. Die Zeitungen behaupteten, Wolfgang Wagner sei senil und zu keiner vernünftigen Entscheidung mehr fähig – und wir sahen ihn im nächsten Augenblick um die Ecke biegen, quietschfidel, und hörten, wie er sich mit dem Technischen Direktor stritt. Wir lasen, die Stimmung im Festspielhaus sei hundsmiserabel – und waren bester Laune. Wir stürzten uns 2002 auf Brigitte Hamanns Winifred-Wagner-Biographie, die nun wirklich einigen Sprengstoff bereithielt, freuten uns an dem einen oder anderen fruchtigen Kommentar dazu – und hatten trotzdem das Gefühl, die ganze Historie sei weit weg und könne uns die Freude an der Musik nicht verderben. Am Ende überschätzten die Störenfriede ihre Macht: die aufgescheuchten Politiker, die investigativen Journalisten, die von Neid und Eifersucht geplagten Familienmitglieder. Man hatte geglaubt, man könne den Fels W. W. zum Wanken bringen, aber er wankte nicht. Und je kritischer die Stimmen von außen wurden, desto stärker wuchs innen die Solidarität. Die Festungsmentalität, die man den Festspielen gerne vorwarf und vorwirft, manifestierte sich überhaupt erst in angespannten Situationen wie dieser.
Viele Festspielangestellte verehrten Wolfgang Wagner wie einen Übervater. Und ich bin überzeugt: Die Zuneigung, die ihm im Haus entgegenschlug, war echt. Bei aller Kritik, die es gab, bei allem zeitweiligen Gemurre über seinen unorthodoxen Führungsstil. Dieser Mann wurde geliebt.
Mit seiner zweiten Frau Gudrun taten sich viele schwerer. Gudrun Wagner neigte zu großer Direktheit und Offenheit, sie nahm kein Blatt vor den Mund, womit ich persönlich immer hervorragend zurechtgekommen bin. Eine gebürtige Ostpreußin und ein Berliner verstehen sich eben. Gudrun Wagner hat mir immer erzählt, sie sei am Tag der Sprengung des Tannenberg-Denkmals geboren. Die Mutter hätte also in Allenstein (heute Olsztyn) im Krankenhaus gelegen, und sobald die Fenster geöffnet wurden, seien die Detonationen im 25 Kilometer südwestlich gelegenen Hohenstein (heute Olsztynek) zu hören gewesen. Pioniere der deutschen Wehrmacht waren mit der Zerstörung des «Reichsehrenmals» betraut, um der näher rückenden Roten Armee zuvorzukommen. Eine dramatische Geschichte, zumal die kleine Gudrun mit ihrer Familie kurz darauf übers Frische Haff floh und ihre Heimat nie wiedersah. Das Problem war nur: So kann es kaum gewesen sein. Gudrun Armann nämlich, wie sie mit Mädchennamen hieß, kam bereits am 15. Juni 1944 zur Welt – und das Tannenberg-Denkmal wurde erst Ende Januar 1945, in letzter Sekunde, gesprengt. Da mischte sich seitens ihrer Mutter offenbar Erinnertes mit Erfundenem, Erzähltes mit Befürchtetem. Einer anderen Quelle zufolge erreichte die Familie bereits Mitte Juli 1944 das niederbayerische Langquaid, wo Gudrun aufwachsen sollte. Von einer Flucht über das eisige Haff kann demnach ebenfalls keine Rede sein.
Ansonsten konnte man sich auf Gudrun Wagner hundertprozentig verlassen – was man mit ihr einmal besprochen hatte, das galt. Sie war professionell, hoch engagiert und verstand wirklich viel vom Wagner-Geschäft. Sie war diesen Festspielen mit Herz, Leib und Seele verbunden. Sukzessive hatte sie sich im Betrieb hochgearbeitet, von der Sekretärin im Pressebüro über den Büroleiterinnenposten bei Wolfgang Wagner bis hin zur «heimlichen Prinzipalin», als die sie in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren bis zu ihrem Tod 2007 galt. Und sie war eine blitzgescheite Person mit einer extrem schnellen Auffassungsgabe. Bei Vorsingen war Gudrun Wagner oft die erste, die wusste, das wird was, oder das wird eher nichts.
Vor allem war sie immer da. Ich kann mich nicht erinnern, wann Frau Wagner nicht im Festspielhaus gewesen
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