Mein Leben mit Wagner (German Edition)
sein soll. Ich sehe noch ihren Schlüsselbund vor mir aus rotem Krokodilleder, und wie sie mittags die Tür vom Westfoyer abschließt und sagt, in einer Stunde bin ich wieder im Büro. Und sie hat mir Geschichten aus meiner Bayreuther Jugend erzählt, an die ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern kann. Wie ich als Barenboim-Assistent im Bayreuther Zuschauerraum immer die Beine hochgelegt haben soll, die Füße über der vorderen Lehne. Da hätte sie mich mehrfach ausgeschimpft! Später erzählte sie mir das x-mal, und es gehörte zu unserem Spiel, dass ich sagte, liebe Frau Wagner, daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern, und sie dann sagte, aber ich erinnere mich ganz genau!
Ein einziges Mal sind wir beide aneinandergerasselt, 2004, als Christoph Schlingensiefs «Parsifal» Premiere feierte. Mit seiner höchst unkonventionellen Inszenierung waren die Wagners unglücklich, sie hatten das Gefühl, das Ganze sei mehr eine Installation als echte Oper, echtes Musiktheater und überhaupt viel zu statisch. Ich glaube, sie haben einfach nicht verstanden, was Schlingensief wollte, und verloren irgendwann das Vertrauen. Eines Tages kam Christoph in der Kantine auf mich zu und fragte nach den Blumenmädchen im zweiten Akt: was hier an Aktion von der Musik her möglich und zumutbar wäre. Ich antwortete ihm ganz offen: dass ich von jeder größeren und gröberen Spielastik abraten würde, das ginge auf Kosten der Koordination und würde den Dirigenten und den Chorleiter nur verärgern. Das nahm Schlingensief sich prompt zu Herzen. Jeden Vorwurf, bei ihm auf der Bühne passiere nichts, parierte er nun mit einem «Der Thielemann sagt auch …». Daraufhin war Gudrun Wagner sauer, weil sie das Gefühl hatte, ich würde mich in Sachen einmischen, die mich nichts angingen. Irgendwann stand ich dann mit einer weißen Rose vor ihr, sie saß in ihrem Büro, und die Stimmung war gar nicht gut. Ich sagte: «Stehen Sie doch bitte einmal auf, Frau Wagner!» Sie: «Wieso?» Ich: «Stehen Sie einfach auf!» Dann grummelte sie etwas und stand auf, ich überreichte ihr die Rose und umarmte sie – und alles war wieder gut.
Was haben wir in diesen Jahren auf dem Grünen Hügel für Feste gefeiert! Zu Gudrun Wagners Geburtstag im Juni etwa fand im Festspielrestaurant immer ein Empfang statt, alle waren eingeladen und gratulierten. Da gab es kalte Platten und für die, die wollten und konnten, auch ein Weinchen oder zwei. Chorfeste wurden ausgerichtet, Orchesterfeste, Technikerfeste mit einer echten Sau am Spieß – und die Wagners saßen an einem der Wirtshaustische mittenmang und waren leutselig und froh. An welchem anderen Opernhaus wäre so etwas denkbar? Wie die beiden sich ihre Arbeit teilten, war von außen schwer zu beurteilen. Er kümmerte sich wohl sehr um alle technischen Belange und Abläufe, sie mehr ums Innerbetriebliche und die Künstlerbetreuung. Er hatte die Ideen, machte die Besetzungen, sie übernahm das operative Geschäft, war seine rechte Hand und sein Gewissen. Ein klassisches Verhältnis, wenn man so will, wobei Gudrun Wagners Einfluss nicht unterschätzt werden darf.
Was Wolfgang Wagners Ruf als Festspielleiter im Nachhinein eher gefestigt als ramponiert hat, sind die neuen Strukturen der Festspiele: Aus der dynastischen Spielwiese, dem absolutistischen Ein-Mann-Betrieb ist seit 2008 ein demokratisch geführtes, modernes Unternehmen geworden. Der Bund, der Freistaat Bayern, die Stadt Bayreuth und die Mäzenatenvereinigung der «Gesellschaft der Freunde von Bayreuth» halten die Anteile an der Festspiele GmbH. Das bedeutet: mehr Kontrolle und viel mehr administrativen Aufwand. In Zeiten, in denen die Kommunen darben und sich der Umgang mit der «Hochkultur» immer weniger von selbst versteht, sehe ich das aber auch als Sicherungsmaßnahme. Deutschland fühlt sich dem Mythos der Festspiele, dem Potenzial dieses kulturellen «Leuchtturms» verpflichtet. Das war in der großen Koalition so, und unter Schwarz-Gelb ist es so geblieben. Selbst ein wenig pathosverdächtiger Mensch wie der amtierende Kulturstaatsminister Bernd Neumann wird nicht müde, das zu betonen.
Das dynastische Prinzip halte ich in Bayreuth trotzdem für unverzichtbar. Manche Stimmen behaupten ja, es habe sich erschöpft und überlebt. Sicher ist künstlerische Qualität keine Frage der Gene, doch warum sollte man mit dieser Tradition brechen, solange es Mitglieder der Wagner-Familie gibt, die willens und in der Lage sind, sie
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