Mein Leben mit Wagner (German Edition)
bietet, müssen sich seine Festspiele doch permanent erneuern. Durch Regisseure und Dirigenten, die seine Stücke anders lesen, durch nachwachsende Sängergenerationen. Und auch in ihrer Außendarstellung, ihrer medialen Zeitfühligkeit: Public Viewing, Kinderoper, Oper im Kino, Live Streaming im Internet, all das gehört zum 21. Jahrhundert. Es ist so wichtig wie die Aufarbeitung der politischen Vergangenheit oder ein zeitgemäßes Museumskonzept für die Villa Wahnfried. Ein «Bayreuther Stil», ein Kurzschluss der Gehirne existiert wie gesagt nicht. Und ich bin mir sicher: Der alte Richard hält das alles aus. Er erträgt uns alle, ob wir uns ihm hingeben oder gegen ihn rebellieren. Und er wird noch viel mehr aushalten, denn er hat ganz andere Dinge überlebt. Wagner hatte einen Weltanspruch, und der zeigt sich zuallererst in seiner Qualität, die sich nicht zerstören lässt. Er fühlte sich als Schöpfer, er wollte das Leben erklären. Ein solcher Messianismus, eine solche Hybris bringt Neider auf den Plan, Ausbeuter, Gegner, Trittbrettfahrer. In seiner Rezeption ist Wagner immer besonders anfällig gewesen, darüber wird gleich noch zu sprechen sein. Doch je mehr man die Festspiele profaniert oder verteufelt, desto bedeutender werden sie; je mehr man Wagners Stücke entheiligt, desto heiliger erscheinen sie, weil sie in ihrer Magie weiterleuchten.
Wie sagte Nietzsche, als er Wagner noch gut war? «Irgendwann sitzen wir alle in Bayreuth zusammen und fragen uns, wie wir es nur irgendwo anders aushalten konnten.» Gegenüber vom Festspielhaus, am Kiosk der Markgrafenbuchhandlung, gibt es diesen Spruch heute als Postkarte zu kaufen.
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Ein sehr deutsches Thema:
Das sogenannte Weltanschauliche
Einmal brachte mir einer meiner Bayreuther Assistenten aus Leipzig ein T-Shirt mit, auf dem Felix Mendelssohn Bartholdy zu sehen war: im Halbprofil, mit Lockenschopf und Hakennase, sehr schwungvoll karikiert. Ich zog dieses T-Shirt zu einer der nächsten «Ring»-Proben an, und das Orchester rätselte, wer das wohl sein könnte. Schließlich riefen ein paar Musiker: «Cosima!» Auch Cosima Wagner hatte schließlich viele Haare und eine ausgeprägte (Liszt’sche) Nase. Die glühende Antisemitin und der aus einer jüdischen Familie stammende Protestant Mendelssohn – so schnell kann ein unschuldiges Mitbringsel einen an die Abgründe von Bayreuth führen. Abgesehen davon war Mendelssohn gerade für das «Rheingold» ein gutes Stichwort, wir nahmen uns vor, möglichst «mendelssohnös» zu musizieren: durchsichtig, glitzernd, elegant, in jenem «Sommernachtstraum»-Scherzo-Ton, der immer leichtfüßig ist, aber nie flüchtig.
Ist C-Dur noch C-Dur?
Cosima mit Mendelssohn zu vergleichen, ist bestimmt nicht politisch korrekt. Weil der Grüne Hügel ohne die Schatten seiner Vergangenheit nun einmal nicht zu denken ist. Prinzipiell interessiert mich das politisch Korrekte wenig. Oft markiert es einfach nur den Weg des geringsten Widerstands. Gleichwohl haben die Bayreuther Festspiele eine politische Vergangenheit, und wenn wir ehrlich sind, tun wir uns mit dieser Vergangenheit bis heute schwer. Kann Wagner etwas dafür oder nicht, dass «Rienzi» und «Lohengrin» Hitlers Lieblingsopern waren und der Diktator zu den Parteitagen der NSDAP in Nürnberg regelmäßig die «Meistersinger» spielen ließ? (Genauso gut könnte man fragen, ob Franz Léhar daran schuld ist, dass Hitler es liebte, vor dem Spiegel als Graf Danilo aus der «Lustigen Witwe» zu posieren, mit Frack, Zylinder und weißem Seidenschal.) Hat das kalkulierte Überwältigungsmoment in Wagners Partituren den Wahn in Hitlers Kopf vielleicht erst entzündet? Dürfen oder müssen Musik und Politik, Politik und Musik getrennt voneinander betrachtet werden? Wo endet eine Interpretation und wo fängt der Missbrauch an? Was heißt das für das Verhältnis eines Kunstwerks zu seiner Rezeption – und für mich als Musiker, der ich es zunächst einmal mit Noten zu tun habe? Ist C-Dur noch C-Dur? Oder doch eine Weltanschauung? Es sei viel Hitler in Wagner, hat Thomas Mann gesagt, aber vielleicht ist ja auch nur (zu) viel Wagner in Hitler?
Bei allem, was nach 1933 und nach 1945 an Weltanschauung in Wagners Werke hineingedeutet und -gepresst wurde, weiß der Komponist die Chronologie auf seiner Seite. Wagner wird gegenüber seinem berüchtigtsten Verehrer immer der Erstgeborene sein. Denn als Hitler 1889 im österreichischen Braunau zur Welt kommt, ist Wagner, sein
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