Mein Leben mit Wagner (German Edition)
atmet unverhohlen den Geist von «Meeresstille und glückliche Fahrt», und zur besseren Durchsetzung der «Feen» versuchte er sogar, nach dem Vorbild der Mendelssohns ein familiäres Netzwerk zu spannen. Da war sein Bruder Albert, der dafür sorgte, dass Richard 1833 für ein gutes Jahr eine sichere Anstellung als Chordirektor am Würzburger Theater erhielt; da war sein Schwager Friedrich Brockhaus, der den Leipziger Theaterdirektor mit den Worten einschüchterte, «Der Teufel soll ihn holen, wenn er die Oper nicht geben will!»; und da war schließlich seine Schwester Rosalie, eine umschwärmte Leipziger Schauspielerin, die ebenfalls das Ihre dazu tat, den Bruder ins rechte Licht zu setzen. Wie aber reagieren Theaterdirektoren, wenn sie derart unter Druck gesetzt werden? Sie suchen Mittel und Wege, die gewünschten Aufführungen zu verhindern – und lassen Zeit vergehen. Zeit aber hatte Richard Wagner keine, er musste jetzt punkten, um in Leipzig, wie er sich ausdrückte, «Stellung zu machen». Er musste schnell sein, schneller als die anderen, und das hieß vor allem: schneller als Mendelssohn. Noch war dieser Musikdirektor in Düsseldorf, seine Berufung zum Gewandhauskapellmeister aber lag in der Luft. An Mendelssohn, der «Mücke», wie Cosima in ihren Tagebüchern ätzt, führte kein Weg vorbei. Auch Richard Wagner spürte das. Glück aber brachte Leipzig ihm nicht. «Die Feen» wurden nicht aufgeführt, die Talentprobe fiel ins Wasser.
Felix Mendelssohn Bartholdy, Aquarell von James Warren Childe aus dem Jahr 1829
Dieses Scheitern nahm Wagner sich schwer zu Herzen. Er floh als Musikdirektor in die Provinz, nach Magdeburg, und versuchte von dort aus, mit Mendelssohn in Kontakt zu treten. Am 11. April 1836 schickte er ihm die Partitur einer Symphonie in C-Dur, die er bereits als 18-Jähriger geschrieben hatte und die von Mendelssohns Vorgänger am Gewandhaus, Christian August Pohlenz, auch aufgeführt worden war. Mendelssohn aber reagierte nicht, ja er bedankte sich nicht einmal für die Noten. War er, was die Geschäfte des Gewandhauses betraf, überfordert? Spürte er untergründig, dass ihm das Verhältnis zu Wagner wenig Glück bescheren würde? Oder fand er die Symphonie samt ihrem unbekannten, mittellosen Schöpfer einfach nicht weiter beachtenswert? Die Partitur jedenfalls verschwindet, und Jahrzehnte später behauptet Wagner, Mendelssohn habe sie absichtlich zerstört – weil sich ihm darin «Anlagen offenbarten, welche ihm unangenehm waren».
Dass der Leipziger Gewandhauskapellmeister dem Magdeburger Musikdirektor den Kontakt verweigerte, war ein Affront – und bestärkte Wagner nur in seinem aufkeimenden Hass. Er fällte eine folgenreiche, sich gewissermaßen an Mendelssohn brechende Entscheidung. Am 22. September 1836 schrieb Wagner an seinen Freund, den Schriftsteller Theodor Apel, nach Leipzig: «Ich ‹…› nehme für jetzt gänzlich Abschied von dem Concertsaal. Das könnte mir auch noch fehlen, Deinem Rathe zu folgen und eine schön bearbeitete Ouvertüre nach Leipzig zu schicken; ich mag kein Anhang sein; u. Dein Rühmen von Mendelssohn bringt mich vollends ganz davon ab. Adieu, Du gediegene Herrlichkeit, ich gebe mich den Flittern der Bühne hin; ich bin jetzt nur noch Opernkomponist, u. nur auf meine Oper ‹…› werfe ich mich mit Leib, Seele u. Hoffnung.» Bedeutsame, trotzige Worte. Um sich gegen die Missachtung seiner Person und Kunst zu profilieren, räumte Wagner das Feld des kompletten Musikers und spezialisierte sich. Der Minderwertigkeitskomplex als schöpferischer Motor, die Konfrontation als Kraftspeicher – nichts hätte Mendelssohn wohl ferner gelegen. Und mit dem Dramatischen, der Oper, dem Musiktheater wählte Wagner sich instinktsicher ein Gebiet, auf dem der leidige Konkurrent ihm in keinem Fall gefährlich werden konnte.
Nun hätte alles gut sein können. Mendelssohn und Wagner, die beiden Konkurrenten, trennen sich, jeder frönt der ihm eigenen Begabung – und die Musikwelt freut sich: dass sie einen Opernrevolutionär und passionierten Dilettanten wie Wagner hat und daneben einen Fast-Alles-Könner und bürgerlichen Virtuosen wie Mendelssohn. Künstler aber sind nicht so, und das tritt hier besonders krass zu Tage.
Der Kontakt zwischen beiden Komponisten blieb lose, ihre Begegnungen lassen sich an einer Hand abzählen, aber man korrespondierte miteinander und dirigierte wechselseitig die Werke des anderen: Wagner die erwähnte
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