Mein Leben mit Wagner (German Edition)
der «Parsifal» zitiert das Dresdner Amen aus der Reformationssymphonie. Und seinen Wotan lässt Wagner zu Beginn des «Rings» ausgerechnet im Klanggewand des Eingangsrezitativs aus Mendelssohns «Elias» auftreten. Zeitgenossen dürften diese Bezüge wohl vertraut gewesen sein; wir sollten uns heute aktiv bemühen, sie nicht aus den Ohren zu verlieren.
Seinen berüchtigten Aufsatz «Über das Judenthum in der Musik» hatte Wagner 1850 unter dem Pseudonym K. Freigedank in der «Neuen Zeitschrift für Musik» veröffentlicht. Fast 20 Jahre später, 1869, erschien das Pamphlet noch einmal in verschärfter Neuauflage, jetzt unter eigenem Namen, und löste heftige Reaktionen aus. Mendelssohn und Meyerbeer mochten lange tot sein: Durch den neuerlichen Widerspruch, den er erfuhr, fühlte Wagner sich nur bestätigt. Ganz Genie, rechtfertigte er seinen «plötzlichen polemischen Exkurs» als Erholung von der «ekstatischen» Arbeit, dem Komponieren, «während welchem ich eigentlich unter die absoluten Sonderlinge zu rechnen bin». Unterdessen verblasste Mendelssohns Ruhm, die Gedenkjahre 1859, 1872, 1884 und 1897 verstrichen ohne größere publizistische Resonanz. Die musikalische Praxis hingegen gehorchte anderen Gesetzen: Sie liebte und brauchte ihren Mendelssohn, pflegte seine Lieder und Chorlieder in der Wohnstube wie im Salon, und ohne das Violinkonzert oder die «Sommernachtstraum»-Ouvertüre wäre der deutsche Konzertalltag nicht denkbar gewesen. Der britische Lexikograph George Grove und der deutsche Musikforscher Ernst Wolff waren Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten, die jenseits dieser Liebhaberei für ein vollständigeres Mendelssohn-Bild plädierten; auch Alfred Einstein ist hier zu nennen, der Mendelssohns vermeintliche Glätte bereits 1920 als «meisterlich» deklarierte.
Entwicklungen wie diese freilich unterbanden die Nazis ab 1933. Die Jahre bis 1945 bilden die Amfortas-Wunde in der Mendelssohn-Rezeption. Wir mögen das heute alles wissen und so verwerflich wie stumpfsinnig finden: Am «Problem Mendelssohn» ändert es wenig. Mendelssohn ist und bleibt derjenige, der «nicht ganz reçu» ist (Adorno), der nicht ganz angenommen wird. Die Tatsache, dass das Leipziger Mendelssohn-Denkmal 1936 abgerissen und erst 2008 wieder neu errichtet wurde, spricht wohl Bände.
Es ist leicht, Wagner wegen seiner Mendelssohn-Schmähungen rundweg zu verachten, so wie es leicht ist, den schlimmen Schluss aus seinem «Judenthum»-Aufsatz auf den Holocaust zu beziehen: «Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, – der Untergang!» Hat Hitler diese Sätze gekannt? Sehr wahrscheinlich. Als Dirigent kann ich es trotz alledem nur mit Alban Berg halten, von dem Hans Mayer eine wunderbare Geschichte erzählt (sie findet sich in dem ansonsten hoch tendenziösen Band «Richard Wagner – Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?» aus der Reihe «Musik-Konzepte»). Mayer lernte Berg in den Zwanzigerjahren in Berlin kennen, wo gerade dessen «Wozzeck» unter der Leitung von Erich Kleiber an der Staatsoper uraufgeführt worden war. Was tat der junge jüdische Marxist und Postexpressionist, um vor dem berühmten Komponisten Eindruck zu machen? Er schimpfte wie ein Rohrspatz auf Richard Wagner. Mayer berichtet: «Und Alban Berg – unvergeßlich – sah von oben auf mich herab und sagte: ‹Ja, so können Sie reden, Sie sind ja nicht Musiker!›»
Pathos und Politik
Das trifft den Nagel auf den Kopf. Ein Musiker wird Richard Wagner immer nach seiner Musik beurteilen, nach seinem handwerklichen und künstlerischen Können. Da dieses Können unstrittig ist, landet man rasch in einem Dilemma. Wohin mit dem sogenannten Weltanschaulichen? Was tun mit Wagners Antisemitismus? In den Noten ist dafür kein Platz, denn C-Dur bleibt tatsächlich C-Dur. Selbst erklärte Wagner-Feinde sind der Welt bis heute schlüssige Beweise dafür schuldig geblieben, dass Beckmesser in den «Meistersingern», Kundry im «Parsifal» oder Alberich und Mime im «Ring» böswillige Karikaturen des ewigen Juden darstellen. Wäre Wagners Musik wirklich so platt und lieferte uns solche Abziehbilder, müssten wir uns keine Sorgen machen: Dann hätten wir es mit Propaganda zu tun und nicht mit Kunst, dann bräuchten wir uns die Köpfe und Herzen nicht zu zerbrechen. Einen Quartsextakkord kann ich aber weder antisemitisch noch philosemitisch, weder faschistisch noch sozialistisch noch
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