Mein Leben mit Wagner (German Edition)
«Prophet» (Joachim Köhler), seit sechs Jahren tot.
Aber das Politische auf dem Grünen Hügel ist keine Erfindung Adolf Hitlers, sondern liegt schon in Wagners Biographie begründet. In Dresden steht er an der Seite Bakunins auf den Barrikaden der Revolution von 1848/49. Er wird steckbrieflich gesucht und ist zwei Jahrzehnte lang auf der Flucht: vor wechselnden Gläubigern und der Polizei. An seinem exaltierten Lebensstil ändert das wenig, auch Wien muss er 1864 wieder verlassen, um einer drohenden Schuldhaft zu entgehen. Ein Jahr später treibt er es politisch und ökonomisch sogar unter den Fittichen Ludwigs II. zu weit; eine bürgerliche Petition fordert seine Entfernung aus dem Dunstkreis des Monarchen und aus München, er gilt als unerwünscht. Und auch bürgerlich-moralisch hat Wagner keine weiße Weste: Neben seiner Ehe mit der Schauspielerin Minna Planer lässt er sich auf zahlreiche Affären ein, mit der Weinhändlersgattin Jessie Laussot, mit Mathilde Wesendonck, mit Cosima von Bülow. Größere Bedenken plagen ihn nicht, im Gegenteil, er scheint die erotische Spannung als Stimulans für die künstlerische Arbeit zu brauchen – ganz wie die seidenen Beinkleider und die brokatenen Tapeten.
Politisch, gesellschaftlich und moralisch war Richard Wagner schwer vermittelbar. Ein Mensch, der im ständigen Konflikt, in der ständigen Differenz zu seiner Umwelt lebte und diese Differenz auch suchte. Erst im Anderssein konnte er seine elitären Bedürfnisse und Kunsterlösungsphantasien ausleben – was nicht heißt, dass er nicht geradezu süchtig gewesen wäre nach Ruhm, Anerkennung, Bestätigung und Liebe. Das eine war die notwendige Kehrseite des anderen. Viel Stoff für den Analytiker.
Richard Wagner dachte und fühlte antisemitisch, daran besteht kein Zweifel. Nachzulesen ist das flächendeckend und lückenlos, in seinen Aufzeichnungen, Schriften und Briefen sowie auch bei Cosima, die ihren Mann gerade in dieser Frage nach Kräften unterstützte. Cosimas Judenhass entsprang allerdings mehr dem «guten Ton» und der feinen Gesellschaft, auf die sie als uneheliche Tochter einer Gräfin qua Geburt Anspruch erhob. Wagners Aversionen hingegen waren von einem tiefen Sozialneid geprägt. «Die Juden», die sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts emanzipierten und gesellschaftlich aufstiegen, stellten eine willkommene Projektionsfläche dar. Wann immer in seinem Leben etwas schief ging, machte er sie dafür verantwortlich: bei seinem Versuch, 1834 in Leipzig seine erste Oper, «Die Feen», unterzubringen; später in Paris, wo ihm in Gestalt von Giacomo Meyerbeer alle «Opernkunstangelegenheiten so stinkend scheußlich» begegneten, dass er auf dem Absatz wieder kehrt machte; und auch in der komplexen Vorbereitung des Bayreuther Festspielprojektes. Wagner hasste Privilegien, solange sie nicht ihm selbst zukamen; er verachtete jeden, der nicht durch Leistung und die eigene «Arbeit», sondern qua Herkunft, Institution oder Vermögen etwas auf sich hielt. Felix Mendelssohn Bartholdy entsprach in seinen Augen diesem Feindbild zu 100 Prozent: Er entstammte einer berühmten Philosophen- und Bankiersfamilie, er wusste zu repräsentieren, musste sich zeitlebens keine finanziellen Sorgen machen und hob ganz nebenbei auch noch das bürgerliche Musikleben in Deutschland aus der Taufe.
Exkurs: Wagner und Mendelssohn
Richard Wagner, so muss man es formulieren, ist der Totengräber der Mendelssohn-Rezeption bis tief ins 20. Jahrhundert hinein. Als Musiker, dem Mendelssohn kaum weniger bedeutet als Wagner, hat mich das immer beunruhigt und geschmerzt. Wagner schädigte Mendelssohns Ruf nachhaltig, nicht nur in seiner Hetz- und Schmähschrift über das «Judenthum in der Musik» von 1850, wo es heißt, der Jude herrsche «und wird solange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher alles unser Thun und Treiben seine Kraft verliert». Wagners Motive? Neid, Missgunst, Eifersucht. Auf Mendelssohns von Haus aus privilegiertes Dasein, auf seinen Erfolg als Musiker und Komponist, auf die eigene Vaterstadt Leipzig, die ihm, Wagner, wiederholt die kalte Schulter zeigte und den wenig älteren Mendelssohn, den Klassizisten und Vertreter einer «musikgeschichtlichen Sackgasse», begünstigte.
Dabei hatte der junge Wagner wie viele Zeitgenossen seinen Mendelssohn sehr gut im Ohr. Er bediente sich mehrfach typisch Mendelssohnscher Mittel, in den «Feen» imitiert er eifrig dessen Chorstil, seine «Columbus»-Ouvertüre
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