Mein Leben mit Wagner (German Edition)
«Meeresstille»-Ouvertüre, außerdem den 42. Psalm und die Schottische Symphonie, Mendelssohn die «Tannhäuser»-Ouvertüre. Mendelssohn äußerte sich öffentlich kaum über Wagner, er blieb distanziert, aber höflich. Wagners Tonfall gegenüber Mendelssohn hingegen änderte sich rapide. Frühe Briefe trugen noch die Anrede «Hochgeehrter Herr» und verabschiedeten sich mit «Ihr glühendster Verehrer»; da buhlte Wagner noch um Aufmerksamkeit. Später lauteten die Anreden «Mein lieber, lieber Mendelssohn» oder auch «Mein hochverehrtester Freund» – man war sich offenbar näher gekommen, engagierte sich gemeinsam für ein Denkmal für Carl Maria von Weber in Dresden, respektierte sich, wenigstens in Wagners Wahrnehmung. Mit Mendelssohns frühem Tod 1847 aber änderte sich das komplett. Alles, was Wagner bislang nur angedeutet hatte, brach nun hervor: Eifersucht, Verfolgungswahn, Antisemitismus. Wagner war wild entschlossen, in das Vakuum zu stoßen, das Mendelssohn hinterlassen hatte. Und er entdeckte die Musikgeschichtsschreibung als probates Mittel der Machtausübung. Wo immer sich die Gelegenheit bot, deklassierte er Mendelssohn als rückwärtsgewandt und oberflächlich. «Mendelssohn der Ausländer, durchaus undeutsch», notierte Cosima in ihr Tagebuch am 7. November 1872. Ein Rufmord mit Folgen.
Allerdings war Jude für Wagner nicht gleich Jude. Zwischen Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn etwa differenzierte er sehr wohl. Insofern muss ihn Hans von Bülows Bonmot, sein «Rienzi» sei «Meyerbeers beste Oper», doppelt getroffen haben. An einen Vergleich seiner eigenen Fähigkeiten als Musiker mit denen Mendelssohns habe er nie zu denken gewagt, heißt es in seinen Lebenserinnerungen. Im Namen Meyerbeer hingegen, so Wagner in einem Brief an den Wiener Kritiker Eduard Hanslick, vereinige sich für ihn alles, was ihm «als innere Zerfahrenheit und äußere Mühseligkeit im Opern-Musikmachen zuwider» sei. Meyerbeer, der König der Trivialitäten und Effekthaschereien, gegen Mendelssohn, den Unerreichbaren.
Gleichwohl hatte Wagner noch einen weiteren Pfeil gegen Mendelssohn im Köcher, und dieser hieß Ludwig van Beethoven. Mit Beethoven, so Wagner, sei die absolute Musik an ihre Grenzen gekommen, ohne «dichterische Absicht» (ergo ohne ihn selbst) gäbe es keine Musik der Zukunft. Im Blick auf Mendelssohn, den von «klassischem Duft affektierten» Vertreter einer überholten Kunstästhetik, hielt Cosima fest: «In welch seichte Conversation hat dann Mendelssohn die Musik zurückgeführt, nachdem Beethoven sie so herrlich volkstümlich gemacht.» Wagner als der rechtmäßige Erbe Beethovens, Mendelssohn als dessen blasser Nachahmer. Kein Wort darüber, wie hellsichtig sich Mendelssohn als Interpret und Orchesterleiter zeitlebens für Beethoven eingesetzt hat, kein Wort über seine intensive kompositorische Auseinandersetzung mit dem Wiener Meister.
Einerseits vermochte Mendelssohn es also zu keiner Zeit, «die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir von der Kunst erwarten, weil wir sie dessen fähig wissen»; stets hinterließ er bei Wagner einen Eindruck von Kälte, auch als Mensch. Andererseits schwärmte Wagner vom «Paulus» als einem «Zeugnis von der höchsten Blüte der Kunst», lobte Mendelssohn als einen «feinen Musiker» und die «Hebriden»-Ouvertüre als «enorm schön». Geht das zusammen? Durchaus, sagte Wagner und befand 1869, dass ein so «enormes Talent» wie das Mendelssohns «beängstigend» sei und wiederum «kalt» und insofern «in unsrer Entwicklung der Musik nichts zu tun habe». Ob er wusste, wie sehr er sich damit in die eigene Tasche log?
Knapp 60 Jahre später griffen die Nationalsozialisten in Deutschland Wagners Strategie auf. Wagner kann für diese Folgen, wie ich meine, nicht unmittelbar haftbar gemacht werden. Schon gar nicht ohne zu bedenken, wie weit Antisemitismus und militanter Nationalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitet waren (übrigens auch in der Oper, man denke nur an Smetanas «Libusa», mit der 1881 in Prag das Nationaltheater eröffnet wurde). Aber Wagner wirkte an diesen Folgen kräftig mit – vor allem, indem er der üblichen Juden-Hetze das Profil einer ästhetischen Debatte verlieh.
Dies alles hinderte ihn nicht daran, sich bei Mendelssohn auch weiterhin zu bedienen. Das «Rheingold»-Vorspiel erinnert stark an das Wellen-Motiv aus der Konzertouvertüre «Die schöne Melusine»,
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