Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
Vom Netzwerk:
sogar gutheißt, daß am Karfreitag in Opernhäusern und im Radio mit schöner Regelmäßigkeit der Parsifal gegeben wird, der das raffinierteste und ausgeklügeltste Kunstprodukt der neueren europäischen Kulturgeschichte genannt werden muß und dessen Wirkung von Wagner genau so berechnet wurde, wie sie, aus beschreibbaren Gründen, eingetreten ist. Parsifal hat mit dem Karfreitag ‹…› nicht das Geringste zu tun, sondern er ist konzipiert auf die Vernichtung des Karfreitag, oder doch zumindest des zu diesem gehörenden Christentums und biblischen Christus hin. Dessen Reinigung und Erlösung ‹von aller alexandrinisch-judaisch-römisch despotischen Verunstaltung› ‹…› steht gerade hinter der Schlußformel: ‹Erlösung dem Erlöser.› Darin besteht der Erlösungsanspruch, den Wagner durch den Parsifal anmeldete und der ihm bis heute von einer unvermindert mythossüchtigen und in keiner Weise gegen kalkulierte Verführung gefeiten Öffentlichkeit abgenommen wird.»
    Kunst, die ihre politische Fernwirkung «berechnet»? Ein Publikum, das sich auch 1976 «kalkulierter Verführung» nicht entziehen kann? Und eine wasserdichte Erklärung für die Wagnersche Rätselformel «Erlösung dem Erlöser»? Ich fand das absurd. Hier versuchte einer, sein Mütchen zu kühlen, diesen Verdacht hatte ich als jugendlicher Leser schnell, und er verstärkte nur meinen Trotz. Zelinsky sagt zwar selbst, dass sein Buch nicht von Wagners Musik handle, sondern von den «Wirkungen» des Werks, von seiner «Weltanschauung»; solchen Geifer aber, so viel bitteren Schaum vor dem Mund rechtfertigt das nicht. Buchstäblich jeder kriegt hier sein Fett weg: Richard Wagner firmiert als Hitlers «geistiger Ziehvater»; Hans Jürgen Syberberg, der 1975 einen «hitlerfixierten» Film über Winifred Wagner gedreht hatte, wird verdächtigt, sich mit «alten Nationalsozialisten» gemein zu machen; und selbst Wieland, der Mitbegründer von Neu-Bayreuth, kommt vom alten «Bayreuther Idealismus» nicht los.
    Das ging mir alles zu weit. Ich fand Wagners Werke auf ein blödes Pathos reduziert, ein plumpes Überwältigungsdogma – das konnte es nicht sein. Zelinskys Wagner und mein Wagner verhielten sich zueinander wie die Sondermeldungsfanfare des Reichsrundfunks zur Originalpartitur von Franz Liszts «Les Préludes»: 150 Bläser im Dauerfortissimo haben mit der komponierten Musik einfach nichts zu tun.
    Genau an diesem Punkt wird es für mich interessant. Vergewaltigen Exegeten wie Zelinsky Wagners Werk nicht ein weiteres Mal? Sie sagen dem Publikum, was es zu denken hat. Sie reduzieren die Opern auf das Weltanschauliche und erklären die politische Interpretation zur allein seligmachenden, bloß unter umgekehrten Vorzeichen. Sie dichten den «Lohengrin»-Schluss um, von «Seht da den Herzog von Brabant! /Zum Führer sei er euch ernannt!» in «Zum Schützer sei er euch ernannt!». Und in der Schlussansprache des Hans Sachs in den «Meistersingern» verspüren sie ein schlimmes Magengrimmen, wegen der Verse «ehrt Eure deutschen Meister, /dann bannt Ihr gute Geister». Wie Wagner das in Musik setzt, interessiert sie nicht, sie wissen nichts von betonten und unbetonten Taktteilen, von steigenden und fallenden Linien, und dass der Akzent klar auf «Meister» liegt und nicht auf «deutsch». Das alles sollte man aber wissen: um zu erfahren, wie klug, wie reflektiert und witzig Wagners Musik sein kann.
    Ich habe die «Meistersinger» in den Siebzigerjahren oft an der Berliner Lindenoper gehört und oft mit Theo Adam als Sachs. Adam hatte die Angewohnheit, aus Furcht oder Scham oder sozialistischer Gesinnung, das «d» in «deutsch» immer so wegzunuscheln: «Was ’eutsch und echt wüßt’ keiner mehr, /lebt’s nicht in ’eutscher Meister Ehr’.» In einer Vorstellung sang statt seiner Siegfried Vogel, der sprach jedes «d» ganz deutlich, «was ddeutsch und echt». Da sind die Zuhörer um mich herum auf die Stuhlkanten gerutscht, es war eine richtige Bewegung im Saal, und keine des Protests.
    Als Sänger kann ich einzelne Wörter hervorheben oder so aussprechen, dass meine Haltung zum Gesagten beziehungsweise Gesungenen deutlich wird. Etwas Vergleichbares kann ich als Dirigent auch: indem ich eine Stelle pathetisch auflade oder beiläufig darüber hinweggehe, indem ich ein Tempo in einer bestimmten Art fasse oder dynamisch plötzlich aus dem Rahmen falle. Ich kann das alles machen – aber nur, wenn ich es kann. Ich brauche stichhaltige

Weitere Kostenlose Bücher