Mein Leben mit Wagner (German Edition)
mir alte Konzertgänger erzählt. Da gab es einen vierten Rang und eine Mittelloge, die Form des Kubus wurde verändert, mehr in Richtung «Birne» – und schon war die Akustik nicht mehr ganz so trocken. Das heißt: Aus einem Hoftheater wird zwar nie ein richtiges Wagner-Haus, ein paar Kniffe aber gibt es, um vom Repertoire her nicht bei Webers «Freischütz» stehenbleiben zu müssen.
Modern organisierte Musiktheaterbetriebe wollen heutzutage alles spielen: Händel auf Originalinstrumenten, einen ranken, schlanken Mozart, dann die Großen, Verdi, Wagner, Strauss, und am besten noch Bernd Alois Zimmermanns «Soldaten» und Nonos «Prometeo» samt einiger Auftragswerke aus dem 21. Jahrhundert mit viel Live-Elektronik und Video-Zinnober. Architektonisch und akustisch ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Nie war das Repertoire so groß wie heute – unsere Opernhäuser aber sind nicht variabel (oder nur sehr eingeschränkt), das heißt, sie können auf die unterschiedlichen Anforderungen gar nicht reagieren.
Musikstädte wie München sind in dieser Beziehung – von der Neuen Musik abgesehen – bestens ausgestattet: das Cuvilliés-Theater fürs Barocke, das Nationaltheater für Romantik und klassische Moderne, das Gärtnerplatztheater für Spieloper und Operette und das Prinzregententheater für so manches dazwischen und danach. Mit seinen 1000 Plätzen ist das «Prinze» so etwas wie der kleine Bruder des Bayreuther Festspielhauses: 1900 wurde es von Ernst von Possart und Max Littmann als Wagner-Festspielhaus geplant, sozusagen als bürgerliche Wiedergutmachung für die von Ludwig II. seinerzeit nicht errichtete Münchner Festspielstätte. Es ist wie Bayreuth amphitheatralisch angelegt und verfügt über eine ausgezeichnete Akustik, außerdem hat der Orchestergraben einen Deckel. Dieser ist freilich abnehmbar, und so ließ auch Lorin Maazel ihn abschrauben, als das Haus 1996 nach vollständiger Renovierung mit Wagners «Tristan und Isolde» wiedereröffnet wurde. Allerdings: Für den «Tristan» mögen mit einigem guten Willen 95 Musiker ausreichen – mehr haben hier im Graben nicht Platz –, ein «Ring» aber oder ein «Parsifal» wäre im Prinzregententheater nicht spielbar.
Die Wagner-Stadt Dresden besitzt nur ein Opernhaus und darüber hinaus keinen ordentlichen Konzertsaal. Die Semperoper muss also alles abdecken, das Große, das Kleine, das Alte, das Neue, Oper und Konzert, und wie durch ein Wunder gelingt ihr das immer wieder. Das Haus, wie wir es heute kennen, ist immerhin bereits der dritte Bau. Der erste von 1841 fiel einem Brand zum Opfer – ein weit verbreitetes Phänomen zu dieser Zeit, schließlich wurde das Licht mit Kerzen oder Öllampen erzeugt (in Bayreuth dann bahnbrechenderweise mit Gaslaternen). Die zweite Semperoper entstand in den Jahren 1871 bis 1878 unter der Leitung von Sempers Sohn Manfred: Dem Architekten selbst blieb als ehemaligem Aufständischen das Betreten sächsischen Bodens zeitlebens verboten, die Entwürfe und Pläne schickte er aus seinem Zürcher und Wiener Exil. Dieser zweite Bau fiel in der Nacht vom 13. Februar 1945 beim großen Bombenangriff der Alliierten in Schutt und Asche. Der dritte Bau schließlich wurde 1985 wiedereröffnet – und bedeutet einen Glücksfall. Zuschauerraum und Bühne hat man unter Wahrung der Semperschen Proportionen sanft erweitert, so dass das Haus mit seinen 1300 Plätzen akustisch für Sänger wie für das Orchester ausgesprochen angenehm ist.
2010 lernte ich in Dresden den damals zuständigen Architekten Wolfgang Hänsch kennen. Man könne viel berechnen und konstruieren und probieren und vergleichen und noch dreimal rechnen, sagte er: Am Ende bliebe es in gewisser Weise ein Mysterium, ob ein Opernhaus oder ein Konzertsaal gut klinge oder nicht. Genies wie Gottfried Semper oder Richard Wagner (der in Bayreuth bekanntlich nach Kräften mitmischte) hatten dafür wahrscheinlich einfach die richtige Nase und Intuition.
Die Beherrschung der großen Form
Blutjunge Wagner-Dirigenten gibt es in der Regel nicht, und das galt auch für mich. Zwar hatte ich früh angefangen, bis ich aber meine erste szenische Wagner-Oper dirigieren konnte, den «Lohengrin» in Nürnberg, musste ich knapp 30 Jahre alt werden. Voraus gingen der konzertante «Rienzi» in Hannover und meine ersten Gehversuche in Venedig (das Fenice übrigens ist, wie die Mailänder Scala auch, ein großartiges Wagner-Haus). Diese lange Weile hat verschiedene Gründe:
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