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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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Thomas Moser den Tristan singt. Eine so lyrische Besetzung diszipliniert: weil man als Dirigent sehr darauf achten muss, an den großen Kulminationsstellen (Schluss des ersten Aktes, Schluss der Liebesnacht) nicht zu kompakt, nicht zu fett zu werden – sonst verausgabt sich der Tenor, und dann ist im dritten Akt von ihm nicht mehr viel zu hören. Ich hoffe, dass mir das in Wien gelungen ist. Ganz anders wurde 1952 in Bayreuth unter Herbert von Karajan besetzt, für mich nach wie vor eine der Gänsehaut- und Referenzaufnahmen (Orfeo). Ramón Vinay ist Tristan, samtig-dunkel timbriert und von Anfang an ein bisschen ein Ritter von der traurigen Gestalt; und Martha Mödl ist Isolde, auf dem Höhepunkt ihres Glanzes, was für eine Riesenstimme, was für ein Mensch! Großartig auch Ira Malaniuk als Brangäne, die in den Nachtrufen eine so bedingungslose Autorität ausstrahlt, dass man sich wundert, warum die Liebenden ihr nicht Folge leisten. Karajan ist 44 Jahre alt und trägt seine Sänger auf Händen, als hätte er nie etwas anderes als «Tristan» dirigiert. Das ist pure Atmosphäre, ist Licht, ist Schatten, sind nie gehörte Farben. Trotzdem bleibt Karajan allzeit der Regisseur, der Souverän. Wie er in der Orchestereinleitung zum dritten Akt den mürben Bayreuther Klang auskostet, wie die Celli führen und doch nie präpotent werden, nie larmoyant, und man denkt, es seien die Geigen – das hat eine Sensitivität, eine Klarheit, nach der man lange suchen muss.
    Die «Tristan»-Diskographie ist reich an Meilensteinen. Thomas Beechams Aufnahme gehört dazu, 1937 aus London, weil er das Orchester, ganz wie Wagner es wollte, Protagonist sein lässt (EMI). Seine Isolde ist Kirsten Flagstad, das Monument eines hochdramatischen Soprans und die Isolde der Dreißiger-, Vierziger- und frühen Fünfzigerjahre. Ihr Name findet sich auch unter Erich Leinsdorf 1941 an der Met, unter Erich Kleiber 1948 am Téatro Cólon – und in Wilhelm Furtwänglers legendärer Londoner Studioproduktion von 1952 mit dem Philharmonia Orchestra (Ludwig Suthaus ist Tristan, ebenfalls bei EMI). Flagstad ist zu diesem Zeitpunkt 57 Jahre alt, und es wäre unaufrichtig zu behaupten, man hörte es nicht. Diese Isolde hat alles erlebt, sie agiert mehr retrospektiv als aus dem unmittelbaren Erleben heraus. Ähnlich ergeht es mir mit Furtwängler: Bei aller unvergleichlichen Tiefe der musikalischen Empfindung, allem magnetischen Klangsinn, aller psychologischen Meisterschaft weht durch diese späte Aufnahme doch auch viel «Sonnenuntergang», viel goldener Schnitt. Zwei Jahre später ist Furtwängler tot; manchmal denke ich mir, er hat die Ereignisse in Deutschland zwischen 1933 und 1945 sehr viel schlechter verkraftet, als ihm vorgeworfen wird.
    In der nachrückenden Generation gefällt mir Wolfgang Sawallisch mit am besten: 1957, mit dem Neu-Bayreuther Paradepaar Birgit Nilsson und Wolfgang Windgassen – jung und doch nicht nur hitzig (Myto). Und Carlos Kleiber natürlich, seine sagenumwobene Dresdner Lukaskirchen-Einspielung aus den Jahren 1980 bis 1982, die in mehreren Zerwürfnissen endete (Deutsche Grammophon). Eine Auseinandersetzung mit René Kollo, dem Tristan, gab den Ausschlag. Wegen einer Indisposition des Sängers mussten die Tristan-Klagen später im Studio nachproduziert werden (Kollo solo wohlgemerkt, eine gängige Praxis), und bis diese nun in Kleibers Ohren halbwegs richtig abgemischt und in das bestehende Material hineingeflickt waren, dauerte es. Das Ergebnis ist – trotz der wütenden Unzufriedenheit des Dirigenten – fulminant. Kleiber kommt Karajan nahe, denke ich: apollinisch und von einer funkelnden Durchsichtigkeit im Orchester, extrem lyrisch in der Sängerbesetzung (Margaret Price hätte die Isolde nie auf der Bühne singen können, tut es hier aber mit einem Jubel der Jugend, der die Partie in ein geradezu trotziges Licht taucht), hoch riskant in manchen Tempi. Carlos Kleiber war ein musikalischer Erotomane. Sein «Tristan» entfacht ein Bildertheater in den Köpfen, das jede Inszenierung fast obsolet erscheinen lässt. Ohnehin beschränkt sich die szenische «Tristan»-Rezeption von Adolphe Appia über Alfred Roller und Wieland Wagner bis Erich Wonder gerne auf den leeren, zeichenhaft-abstrakten Raum.
    8
Ein Plädoyer für Toleranz:
«Die Meistersinger von Nürnberg»
    Die «Meistersinger» sind für mich der Dreh- und Angelpunkt des Wagnerschen Œuvres. Einerseits sind sie die Reaktion auf den «Tristan»,

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