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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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eine Massenschlägerei aus. Als der Nachtwächter um Mitternacht seine Runde dreht, ist der Spuk vorbei.
    3. Akt: In der Schusterstube, am Morgen des Johannistags. Sachs lässt die Ereignisse der Nacht Revue passieren («Wahn, Wahn! /Überall Wahn!»), David erinnert ihn an die Pflichten des Tags. Stolzing erzählt, was er geträumt hat, und kleidet den Traum mit Sachsens Hilfe in ein Lied («Morgenlich leuchtend»). Im Glauben, ein «Gedicht von Sachs» gefunden zu haben, klaut Beckmesser die flüchtig aufs Papier geworfenen Noten. Sachs tauft Stolzings Lied die «‹selige Morgentraum-Deutweise›», die Liebenden und der Meister finden sich zum Quintett zusammen («Selig, wie die Sonne»). Szenenwechsel: Die Festwiese im munteren Treiben der Zünfte, Lehrbuben und Meister. Mit dem gestohlenen Lied eröffnet Beckmesser das Preissingen. Da er es falsch memoriert hat, macht er sich zum Gespött. Mit der richtigen Version gewinnt Stolzing das Singen und Evas Hand. Als Sachs ihn schließlich über die Verantwortung der Meister für die Kunst aufklärt, lässt sich der anfänglich zögernde Junker in deren Gilde aufnehmen («ehrt Eure deutschen Meister»).
    Für mich sind die «Meistersinger» ein Plädoyer für Toleranz. Das Ende der Oper ist hoch interessant und wird leider oft missverstanden. «Alle Anwesenden schließen sich dem Gesange des Volkes an», notiert Wagner, und ich höre das keineswegs als verordnete Einhelligkeit, als «Stahlbad in C-Dur» (so der Uraufführungsdirigent Hans Richter), sondern als kollektives Bekenntnis. Stolzing hat ein Lied gesungen, das dem bisherigen Regelwerk widerspricht. Trotzdem sind alle mit ihm als Sieger einverstanden. Sie wissen, dass man nur miteinander etwas erreicht, nicht gegeneinander. So gesehen können die «Meistersinger» fast als Integrationsoper gelten. Stolzing ist der «falsch» singende Außenseiter mit (adeligem) Migrationshintergrund, der in die (bürgerliche) Gesellschaft aufgenommen wird – und diese sofort verändert. Die Meister müssen von ihren zipfelmützigen, erstarrten Begriffen abrücken, wenn sie weiter etwas gelten wollen. Und da das Politische immer auch privat ist, verhandelt Wagner den Konflikt gleich noch einmal: Auch Hans Sachs muss sich ins Unvermeidliche schicken und akzeptieren, dass Evchen nicht ihn, den Witwer, liebt, sondern den fremden Ritter. Schlimmer noch: Er muss auch noch dafür sorgen – «Hier gilt’s der Kunst» –, dass dieser Ritter gewinnt, er muss seine persönlichen Interessen und Gefühle dafür hintanstellen. Die «Tristan»-Reminiszenz im dritten Akt ist höchst bezeichnend – Sachs spricht hier zu Eva und macht vor allem sich selbst klar, wie knapp das war: «Mein Kind: /von Tristan und Isolde /kenn’ ich ein traurig Stück:/Hans Sachs war klug, und wollte /nichts von Herrn Markes Glück. – /s’ war Zeit, daß ich den Rechten fand, /wär’ sonst am End’ doch hineingerannt!»
    Bleibt die spannende Frage, was aus Beckmesser wird. Mit dem gestohlenen Lied blamiert sich der Stadtschreiber bis auf die Knochen, «dröhnendes Gelächter» schallt ihm auf der Festwiese entgegen, am Ende stürzt er wütend fort und «verliert sich unter dem Volke». Für mich heißt das: Beckmesser bleibt, er ist immer noch da und wird weder wie Kaspar im «Freischütz» entsorgt («Werft das Scheusal in die Wolfsschucht!») noch wie Mime im «Siegfried» umgebracht. Überhaupt sind die «Meistersinger» kein aggressives oder böses Stück, das gibt die Musik gar nicht her, dafür hätte Wagner ganz anders instrumentieren müssen, und er hätte es wahrlich vermocht. Es wird zwar kräftig geprügelt im Finale des zweiten Akts, und hier geht’s auch zur Sache mit Beulen und Blessuren, der Duktus aber ist ungemein ironisch, ungemein komisch. Wo gibt es denn so etwas, dass sich Volkes Zorn streng kontrapunktisch entlädt und ausgerechnet im Gewand einer Fuge? Sicher brodelt es mächtig in dieser «meisterlichen Spießbürgerschaft», wie Wagner sie selbst nannte, es gibt Trübungen und Grautöne, Blicke in den Abgrund. Am Ende aber überwiegt das Frohe, Heitere, die festliche Freude, und wenn wir das heute nicht recht hören oder sehen können, dann sollten wir das nicht den «Meistersingern» ankreiden, sondern uns selbst.
    Musik
    Die «Meistersinger» sind die deutsche Festoper schlechthin. Einmal mehr denkt die Kunst – typisch Wagner, typisch deutsch? – über sich selbst nach, und sie tut das auf reichlich

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