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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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andererseits weisen sie zusammen mit diesem den Ausweg aus der Sackgasse des «Siegfried». Das Faszinierende an den «Meistersingern» ist: Man findet alles darin! Held und Anti-Held, Komisches und Tragisches, das hohe und das niedere Liebespaar, Burleske und Reflexion, das Alte und das Neue, die ganze Welt.
    Die Zauberworte heißen für mich hier «Atmosphäre» und «Poesie». Wie schaffe ich es als Dirigent, diese Musik in ihren Überzeichnungen und Parodien assoziativ glitzern zu lassen – und ihr gleichzeitig Autorität zu verleihen? Wie schaffe ich es, umgekehrt, dass ihr Pathos nicht nach falschem Pathos klingt, sondern nach Emphase, nach Volks- und Seelenton? Im Grunde verlangt Wagner die Quadratur des Kreises, deshalb sind die «Meistersinger» ein so scheußlich schweres Stück. Vielleicht können sie nur gelingen, wenn man alle seine Poren öffnet, osmotisch, wenn man alle Stimmungen, Farben und Gerüche so weit inhaliert, dass sie im richtigen Augenblick ganz selbstverständlich wieder aus einem herausströmen.
    Entstehung
    Die Wochen und Monate um die «Tristan»-Uraufführung im Juni 1865 sehen Richard Wagner als glücklichen Menschen: Mit Bernhard Schott scheint er seinen Verleger gefunden zu haben (der Mainzer kauft Otto Wesendonck die Rechte am «Ring» ab und stellt einen Vorschuss auf die «Meistersinger» in Aussicht), Ludwig II. liest ihm jeden Wunsch von den Augen ab, und mit Cosima von Bülow ist eine Frau in sein Leben getreten, die alle Qualitäten von Geliebter, Gesellschafterin und Gefährtin in der Kunst vereint. Cosima ist 24 Jahre jünger (und 15 Zentimeter größer) als Wagner, weltgewandt, vielsprachig und hoch gebildet, eine Tochter der Gräfin Marie d’Agoult mit Franz Liszt und seit 1857 mit dem Dirigenten Hans von Bülow verheiratet (ihre Hochzeitsreise führte sie pikanterweise bei den Wagners im Wesendonckschen Gartenhaus vorbei). Im November 1862 ist es in Dresden zur letzten Begegnung zwischen Richard Wagner und seiner Frau Minna gekommen, gut drei Jahre später, im Januar 1866, stirbt Minna, verlassen und vereinsamt. An ihrer Beerdigung kann Wagner nicht teilnehmen, da er es sich inzwischen mit dem bayerischen Hofstaat verdorben hat und erneut in der Schweiz um Asyl bitten muss. Sein verschwenderischer, die Staatskassen plündernder Lebensstil, seine respektlosen politischen Reden über den «tiefgesunkenen, nichtsnutzigen und unmännlich gewordenen Adel» und nicht zuletzt seine stadtbekannte Affäre mit Frau von Bülow strapazieren die öffentliche Geduld über Gebühr.

    Cosima Wagner in einer Zeichnung von Franz von Lenbach aus dem Jahr 1870
    Im März 1866 bezieht Wagner sein neues Domizil am Vierwaldstätter See in der Nähe von Luzern: die Villa Tribschen. Die Miete zahlt Ludwig, das Haus führt ihm die immer noch verheiratete Cosima. Im Februar 1867 kommt ihr zweites gemeinsames Kind zur Welt, Eva, im Juni 1869 folgt Siegfried, der Sohn. Erst im Herbst 1868 bittet Cosima Hans von Bülow um die Scheidung, am 25. August 1870 schließlich treten Cosima und Richard in Luzern vor den Traualtar. Der König ist darüber alles andere als erfreut, fühlt sich in seiner latent homoerotischen Neigung hintergangen und getäuscht. Seiner lebenslangen Bewunderung für das Werk Wagners tut das keinen Abbruch.
    Mit dem 24-jährigen Baseler Philologie-Professor und späteren Philosophen Friedrich Nietzsche klopft 1869 der nächste Bewunderer in Tribschen an die Tür. Man hatte sich im Vorjahr in Leipzig kennengelernt, bei einer von Wagners beliebten «Meistersinger»-Lesungen. Der Komponist pflegte dabei in alle Rollen zu schlüpfen und die verschiedenen Stimmen zu imitieren. Für den jungen Nietzsche ist Wagner «ein fabelhaft lebhafter und feuriger Mann», und überhaupt hätte er seine Jugend, wie er einmal schreibt, ohne dessen Musik niemals ausgehalten. 22 Mal wird Nietzsche in Tribschen zu Gast sein, man führt politisch-ästhetische Debatten, Nietzsche spielt mit den Kindern oder macht für Cosima Besorgungen. Trotzdem wahrt Wagner gegenüber diesem Jünger eine gewisse Distanz, vielleicht spürt er, dass die Grenze zwischen Wahn und Wahnsinn nicht immer exakt zu bestimmen ist. Zur Abkühlung des Verhältnisses, ja zur offenen Feindseligkeit seitens des Philosophen kommt es dann nach Gründung der Bayreuther Festspiele 1872.
    Ein erster Prosaentwurf zu den «Meistersingern» geht auf Wagners Kuraufenthalt 1845 in Marienbad zurück, auf die Zeit des «Tannhäuser» und

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