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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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schwer verwundeten Herrn nach Kareol gebracht, wo beide auf Isolde warten. Tristan phantasiert und halluziniert («Isolde kommt! /Isolde naht!»). Doch kaum ist die Geliebte endlich da, stirbt er. Auch Marke, der von Brangäne die wahren Hintergründe des Betrugs erfahren hat, kommt zu spät. Kurwenal und Melot töten einander im Streit, Isolde aber stirbt den sogenannten Liebestod («Mild und leise /wie er lächelt»).
    Worum geht es hier im Innersten? Um Intensität. Ausschließlichkeit. Um eine Intensität des Gefühls, die so nicht lebbar ist. Um eine Ausschließlichkeit der eigenen Wahrnehmung, die im Tod enden muss . Es geht um die Magie dieses Sterbenwollens, um Anarchie und tiefste Depression. Der «Tristan» ist für mich das Lehrstück, wie es nicht sein darf. Der «Tristan» ist der Albtraum und das Erwachen daraus. Wagner führt uns alle Facetten dieses Albtraums vor – um dann doch mit einem versonnen-versöhnlichen, sich entspannenden, regelrecht unkomplizierten, ja banalen H-Dur zu schließen. Isoldes Liebestod schlägt hierzu die Brücke: eine «Hymne an die Nacht» des menschlichen Bewusstseins, ein langes, überlanges Diminuendo, an dessen Ende die Gewissheit steht, dass auch wieder Tag sein wird, Tag sein muss, bald. Und dass es weitergeht. Ich glaube nicht, dass Isolde am Ende stirbt. «Isolde sinkt, wie verklärt, in Brangänes Armen sanft auf Tristans Leiche», schreibt Wagner in seiner letzten Regieanweisung. Das erinnert fast wörtlich an Elsa, das verweist auf Kundry im «Parsifal» («Kundry sinkt, mit dem Blicke zu ihm auf, langsam vor Parsifal entseelt zu Boden») – ein typisches Wagnersches Frauenschicksal. Wobei das Subversive nicht zu unterschätzen ist. Könnte es nicht sein, dass Isolde den Tod dadurch unterläuft, dass sie die Musik hat, ja die Musik ist? Und dass das Ganze keineswegs im Verderben endet, in der totalen Auflösung, sondern in Musik und in Kunst?
    Allerdings frage ich mich, warum Tristan so unbedingt sterben will . «Er reißt sich den Verband der Wunde auf», heißt es im dritten Akt, und stürzt, «seiner nicht mächtig», Isolde entgegen. Das ist Selbstmord. Weil nur der Tod vereinen kann, was das Leben trennt, durch Herkunft, Schicksal, gesellschaftliche Konvention und Moral? Weil Isolde Tristan vielleicht doch nicht so heißblütig liebt wie Tristan Isolde? Weil sie die Contenance bewahrt, während er sich zerfetzt und verliert? Das erscheint mir, gemessen am utopischen Furor der Musik, doch etwas zu klein, zu romantisch, zu lohengrinös gedacht. Gewiss, auch der «Tristan» sollte immer von seinen Vorgängerstücken aus beleuchtet werden, von Wagners Sturm-und-Drang-Periode her. Aber stärker als in dieser manifestiert sich 1858/59 doch das «furchtbar Autobiographische» (Hofmannsthal) in dieser Musik. Demnach wäre, einfache Rechnung, Mathilde Wesendonck Isolde, Otto Wesendonck König Marke und Wagner selbst natürlich Tristan (Minna spielt bezeichnenderweise keine Rolle). Indem er Tristan in den Selbstmord schickt und Isolde in den Liebestod, in den «wogenden Schwall», den «tönenden Schall», das «wehende All», sagt Wagner: Als Mann und Liebender mag ich vergehen – als Künstler, als Komponist werde ich überleben. Das Unerfüllte als Programm, auch das ist «Tristan».
    Die Gattungsbezeichnung lautet schlicht «Handlung in drei Akten». Dahinter verbergen sich zwei Provokationen. Zum einen existiert im «Tristan» so gut wie keine äußere (Opern-)Handlung. Die Schiffspassage, Liebesnacht und Entdeckung, das Warten und der Tod: Mehr passiert nicht. Es schwimmen keine Schwäne über die Schelde, es nahen keine Pilgerchöre aus Rom, es springen keine Seemannstöchter von hohen Klippen ins Meer. Im «Tristan» wird nur erzählt, reflektiert, geschwärmt, geklagt, geredet – vorzugsweise aneinander vorbei. Und das führt zur zweiten Provokation. Auch zwischen den Liebenden nämlich kommt es nicht zur Tat, zum Liebesakt, zur handfesten «Handlung» eben, sondern immer nur zu Worten. Deshalb kann sich die Spannung auch vier Stunden lang nicht lösen. Deshalb ist das Vorspiel zum ersten Akt nichts anderes als die Imagination des brennenden Gegenteils; deshalb kommt die Entdeckung der Liebenden im zweiten Akt durch Marke musikalisch einem veritablen Koitus interruptus gleich. Thomas Mann sagt, der «Tristan» sei das klassische «opus metaphysicum» der Kunst. Alles passiert, aber nur in der Phantasie.
    Musik
    f – h – dis – gis : ein

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