Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
weil die Sache in die Nachrichten gekommen war. Praktisch jeder einzelne Wärter in diesem Gefängnis muss täglich an der Zelle dieses Mannes vorbeigekommen sein. Sie haben ihn alle gesehen. Die beiden, die gefeuert wurden, waren nur die Sündenböcke.
Ich will mich nicht beklagen. Gejammer kann niemand leiden, das weiß ich. Aber manchmal habe ich alles so satt – die Misshandlungen, die Grausamkeit, die Gleichgültigkeit. Es reibt einen auf. Aber ich weiß, wenn ich mich da hineinziehen lasse, wenn ich zulasse, dass ich meine Zeit mit dem Nachdenken darüber vergeude, schaffe und nähre ich damit nur neue Frustration. Morgen ist ein neuer Tag. Ich werde diesen hier hinter mir lassen und etwas Produktiveres tun. Aber was Sie heute zu lesen kriegen, ist mein Gejammer. Wie Billy Bob in dem Film Bad Santa sagt: » Tja, nicht alle können Sieger sein, oder? «
26. FEBRUAR
Nicht wenige Leute haben mich schon gefragt, warum das Frühstück im Gefängnis morgens um halb drei gebracht wird. Die Antwort darauf lautet: » Sklavenarbeit. « Der Gefängnisbetrieb wird damit praktisch am Laufen gehalten. Feldarbeit, Gräben ausheben, Bau- und Wartungsarbeiten, alles, was Ihnen außerhalb des Wärterdienstes einfallen könnte, wird von Gefangenen gemacht. Sie haben die Wahl: Sie übernehmen die Arbeit, die Ihnen von der Verwaltung angeboten wird, oder Sie gehen ins Loch. Da werfen sie dich hinein, und alle dreißig Tage holen sie dich heraus und fragen, ob du jetzt bereit bist zu arbeiten. Sagst du nein, werfen sie dich wieder zurück. Das geht so weiter, bis dein Geist und deine Seele gebrochen sind. Frühstück gibt es also um halb drei, weil alle so früh wie möglich bei der Arbeit sein sollen, um möglichst viele Arbeitsstunden aus den Leuten herauszuholen.
Das System ist brutal. In anderen Staaten werden Gefangene bezahlt, und sei es, dass sie fünf Cent pro Stunde bekommen. Aber nicht hier. Hier kriegen sie nichts. Man muss trotzdem bezahlen, wenn man zum Arzt geht, auch wenn viele Gefangene kein Geld besitzen und auch keine Möglichkeit haben, welches zu bekommen. In anderen Staaten werden die Gefangenen für ihre Arbeit bezahlt, weil man im Gefängnis alles kaufen muss. Man bekommt nicht mal die fundamentalsten Dinge des täglichen Bedarfs umsonst, weder Seife noch Zahnpasta, weder Kaffee noch Süßigkeiten. Alles wird den Gefangenen verkauft, und so holen sie sich das Geld zurück, das sie ihnen bezahlen.
Sie können dich auch dafür ins Loch stecken, dass du einem anderen Gefangenen, der sich nichts leisten kann, etwas geschenkt hast. Sagen wir, die Wärter beschließen, einem Häftling einmal nichts zu essen zu geben, um ihm eine Lektion zu erteilen. Gibst du ihm einen Schokoriegel, können sie dich dafür dreißig Tage ins Loch sperren. Gibt du jemandem Seife, der sich keine kaufen kann – dreißig Tage. Eine Tasse Kaffee? Dreißig Tage. Das ist grausam und irrsinnig. Ich habe erlebt, dass ein Mann dreißig Tage gekriegt hat, weil er einem anderen Bastelpapier geschenkt hatte. Dir bleibt nur übrig, dich bedeckt zu halten, stillzuhalten und möglichst keine Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen.
27. FEBRUAR
Ich habe eben einen Brief von Amy aus New Jersey bekommen, in dem sie mich fragt, ob ich an Gott glaube. Ich glaube, dass es auf Glauben nicht ankommt. Glaube spielt keine große Rolle in meinem Leben. Für mich zählt Erfahrung. Ich erfahre das Göttliche in meinem Leben jeden Tag. Anstrengung ist für mich viel wichtiger als Glaube, und die Anstrengung, die ich leiste, dient dazu, jeden Augenblick meines Lebens in Anwesenheit des Göttlichen zu verbringen.
Ich vergleiche Spiritualität gern mit Radfahren. Man kann mit jeder Faser seines Wesens glauben, dass Radfahren möglich ist, aber solange man nicht anfängt, es zu üben, kann man es nicht. Bei der Spiritualität geht es um das Tun, nicht um den Glauben.
Eins meiner liebsten Zitate aller Zeiten stammt von Oscar Wilde. Als jemand ihn fragte, ob er an Gott glaube, antwortete er: » Nein, ich glaube an etwas viel Größeres. « So geht es mir auch. Da wartet kein alter Mann über den Wolken darauf, dass er uns zur Strafe für unser Versagen Schmerzen zufügen kann. Für das, was da ist, gibt es keine Worte. Unsere Vorstellung von Gott ist winzig und bedeutungslos, verglichen mit der Realität des Göttlichen. Beantwortet das Ihre Frage, Amy?
Apropos – für die Fastenzeit habe ich mir vorgenommen, das Fluchen sein zu lassen und bewusster zu sprechen.
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