Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
ermordet werden sollen, wodurch sie sich als geistig gesund qualifizieren würden. Irgendwie erscheint mir das viel unmenschlicher, als beließe man einen Menschen in einem Zustand, in dem er nicht begreift, dass er umgebracht wird.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin kein sentimentaler Gutmensch, der glaubt, jeder sei ein Opfer und nicht verantwortlich für seine eigenen Taten. Aber ich bin intelligent und scharfsinnig genug, um zu sehen, dass mit diesem System etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Ich kenne die Antwort nicht, aber ich weiß, sie lautet nicht, uns wie Kälber zu halten.
FEBRUAR
Die Temperatur ist letzte Nacht auf minus sechs Grad gesunken. Um halb drei bin ich aufgewacht, weil ein Wärter mit einer Eisenstange gegen meine Tür hämmerte und schrie, ich solle aufstehen, wenn ich mein Frühstückstablett haben wolle. Ich brauchte ein Weilchen, bis ich meine Hände wieder gebrauchen konnte, denn sie waren eiskalt. Ich habe zwei Schichten Kleidung übereinander getragen, und trotzdem fühlen sich meine Knochen an wie Glas. Ich beklage mich nicht – die Kälte ist mir jederzeit lieber als die Hitze, und der Sommer hier drin ist die Hölle. Tatsächlich habe ich die Kälte sogar gern. Sie macht mich nostalgisch und erinnert mich an meine Jugend. Als ich klein war, ging das Feuer immer mitten in der Nacht aus, und dann rollte die Kälte herein und erfüllte das ganze Haus. Ich habe immer gestaunt, wenn ich sah, dass das Wasser in der Kloschüssel gefroren war. Die Kälte gibt mir das Gefühl, noch einmal jung zu sein.
Für diese Woche haben sie wieder einen Hinrichtungstermin festgesetzt. Jetzt gibt es einen im März und einen im April, und wie es aussieht, wird es wahrscheinlich in den nächsten vier, fünf Monaten jeden Monat einen geben, den Februar nicht mitgezählt. Die Gefangenen, die nicht im Todestrakt sitzen, haben es gern, wenn eine Hinrichtung stattfindet, denn nur dann gibt es im Gefängnis Brathühnchen. Mir ist immer noch nicht hundertprozentig klar, was der Sinn dieser Brathühnchen ist. Entweder sollen wir Übrigen dadurch versöhnt werden, oder es dient zur Feier der Hinrichtung. Was immer der Grund ist, es sieht so aus, als kämen die Brathühnchen dieses Jahr zügig und zahlreich nacheinander.
Ich spüre, dass die Tageslichtstunden länger werden. Ich sehe nichts davon, aber etwas in mir kann es fühlen. Komisch, dass ich es immer noch fühlen kann, wenn die Sonne scheint, obwohl ich sieben Jahre nicht mehr in ihrem Licht gewesen bin. Ich habe von Experimenten gehört, bei denen man Menschen über längere Zeit hinweg vom Sonnenlicht ferngehalten hat. Irgendwann wussten sie nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war. Vielleicht ginge es mir auch so, wenn die Übungen zum Sonnen- und Mondenergiekreislauf nicht wären, die ich mache. Gestern Nacht war Vollmond. Der Sturmmond, der normalerweise in den Februar fällt. Das bedeutet, dass wir den Keuschheitsmond dieses Jahr im Februar haben werden, nicht wie sonst im März. Ich wäre zu gern hinausgegangen, um ihn anzuschauen. Das ist eins der Dinge, die ich am meisten vermisse: der Nachthimmel. Die Sterne, der Mond, die klare Luft. Vielleicht bald.
Zeit, etwas zu tun. Meine Routine erledigt sich nicht von selbst.
Die Boston Red Sox sind große, sehr große Magick. Ich habe gehört, dass manche Kommentatoren meinen, sie schaffen es dieses Jahr nicht mal bis in die Play-off-Runde. Ich mag eigentlich keinen Sport. Es kommt mir vor wie eine ungeheure Verschwendung von wertvoller, kostbarer Zeit, die man für etwas Konstruktives, Produktives verwenden könnte, zum Beispiel, um sein eigenes Wachstum zu befördern und zu studieren, zu meditieren, sich zu trainieren, mit lieben Menschen zu sprechen und so weiter. Aber die Red Sox haben etwas an sich, das meine Nerven beruhigt wie eine Schmusedecke oder ein Schaukelstuhl. Ich habe es gern, wenn ein Spiel von ihnen im Hintergrund im Radio oder im Fernsehen läuft, während ich mit etwas anderem beschäftigt bin. Das ist besser als so ein Soundtrack mit Meeresrauschen.
Ich muss mich an die Arbeit machen. Bis bald.
Ich warte auf das Charlie Brown Valentine’s Day Special. Ich weiß, dass es bald kommt, und ich versäume niemals ein Charlie Brown Special. Das beste ist die Halloween-Sendung über den Großen Kürbis , die ich nur in einem Jahr meines Lebens verpasst habe, weil der lokale ABC -Sender technische Probleme hatte. Aber bei allen Peanuts-Shows habe ich das Gefühl, ich bin
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