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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
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als wäre ich ein Ausstellungsstück in einem Museum. Halbwüchsige Mädchen aus dem Strafrechtskurs der Volkshochschule haben dagestanden und mich in der Dusche beobachtet, ohne ein Wort zu sagen. Haben einfach dagestanden, als hätten sie alles Recht der Welt dazu. Sie, Lady mit den rabenschwarzen Haaren, waren erst der zweite Mensch auf der Welt, der mit mir gesprochen hat. Es hat mich sehr gefreut zu hören, dass Sie diese Briefe gelesen haben. Ich war in letzter Zeit ein bisschen nachlässig mit den Updates, aber jetzt will ich mich bessern. In mancher Hinsicht ist es, als hätte ich Flaschenpostbriefe in den Ozean geworfen und mich gefragt, ob man sie je finden wird. Jetzt weiß ich, dass jemand sie findet.
    Hier ändert sich nicht viel. Ich habe mich weiter in meine Studien vertieft, in meine Meditation, in meine Energiearbeit. Die Tage fliegen weiterhin mit unglaublicher Schnelligkeit vorbei. Das Einzige, was für irgendjemanden interessant sein könnte, ist, dass es so aussieht, als würde Marilyn Manson zusehends mein neuer bester Freund. Lorri ist auch ganz verknallt in ihn. Er wird auf einer Preisverleihung, die im Juli von VH 1 übertragen werden soll, für uns sprechen. Außerdem malt er ein Porträt von mir, und darüber bin ich völlig aus dem Häuschen. Manson engagiert sich ebenfalls für meinen Fall, aber er bleibt hinter den Kulissen, weil er annimmt, seine Anwesenheit könnte in der öffentlichen Wahrnehmung ebenso schädlich wie nützlich sein.
    In der Luft liegt eine seltsame, machtvolle Energie, wie man sie nur beim Wechsel der Jahreszeiten spüren kann. Sie weckt alte Erinnerungen an die Zeit, als ich jung und frei war, und sie treibt mich fast in den Wahnsinn. Es ist die gleiche Jahreszeit, in der ich vor beinahe siebzehn Jahren meine allerletzten Tage in Freiheit verbrachte. Die Energie in der Luft bewirkt, dass diese Erinnerungen sich anfühlen, als wären sie erst wenige Tage alt. Irgendwo tief in meinen Knochen tut das weh, aber es ist ein über alle Maßen köstlicher Schmerz.
    APRIL
    Sie haben die Hinrichtung, die gestern Abend stattfinden sollte, gestoppt. Sie hatten den Mann schon in die Todeskammer gebracht, als das Oberste Gericht von Arkansas die Vollstreckung aussetzte. Jetzt muss es ein Hearing geben, bevor wieder jemand getötet werden darf. Das hat denen, deren Hinrichtung für die nächste Zeit geplant war, vermutlich ein zusätzliches Jahr eingebracht. Vielleicht. Man kann nie sicher sein.
    Lieber als alles andere würde ich heute gern in einen Park gehen. Ich möchte auf einer Schaukel sitzen, Schokomilch trinken und an nichts auf der Welt denken, nur an das Glück dieses Augenblicks. Ich möchte wissen, wie ein normales Leben sich anfühlt, denn ich weiß es nicht mehr. Ich möchte die Füße beim Schaukeln vorwärts und rückwärts über den Boden schleifen. Ich möchte das frische Chi des Frühlings auf der Haut fühlen. Ich habe große Lust, heute meine Halloween-Dekoration auszupacken, denn dieser Anblick ist jedes Mal wieder spannend. Aber das geht nicht, denn ich habe eine Regel: keine Halloween-Dekoration vor dem 21. Juni. Das ist die Sommersonnenwende, und danach sind wir offiziell in der zweiten Jahreshälfte.
    Eine andere Regel, an die ich mich halte, ist: kein Pfefferminz vor November. Pfefferminz esse ich nur zwischen dem 1. November und dem 6. Januar, denn so bleibt es etwas Besonderes. Wenn man so etwas hier drin nicht tut, gibt es nichts, worauf man sich freuen kann.
    18. APRIL
    Viele Leute habe mich gefragt, warum ich mir die Haare abgeschnitten habe. Mir blieb nichts anderes übrig. Eines Tages entschied das Gefängnis, es sei ein » Sicherheitsrisiko « , wenn mein Haar meine Ohren oder meinen Kragen berührte. Hätte ich mich geweigert, es abschneiden zu lassen, wäre ich für dreißig Tage ins Loch gewandert, ich hätte ein Jahr lang keinen Besuch bekommen und einen Monat lang nicht telefonieren dürfen. Das Gleiche gilt für Gesichtsbehaarung. Koteletten, die über die Mitte des Ohrs hinabreichen, sind » der Ordnung und Disziplin in der Einheit abträglich « .
    Der Sinn des Ganzen ist es, jedem seine Identität zu rauben. Alle werden gleich angezogen, bekommen den gleichen Haarschnitt, man nimmt ihnen den Namen und gibt ihnen eine Nummer. Für das Gefängnis bin ich nicht Damien Echols, sondern Häftling SK 931. Aber ich lasse mir das Haar trotzdem nicht von ihnen schneiden, ich schneide es selbst, mit einem Wegwerfrasierer. Das ist ein zeitraubender

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