Mein Mann der Moerder
Klingeln. »Hören Sie, hat sich erledigt«, sagte ich leise ins Telefon und legte auf, ohne die Antwort abzuwarten.
Obwohl ich vor dem Schlafengehen fast eine Handvoll Tabletten eingeworfen hatte, die mir in den letzten Tagen wenigstens manchmal zu einem traumlosen Schlaf verholfen hatten, wälzte ich mich in dieser Nacht im Bett von Albtraum zu Albtraum. Ich saß wieder im Polizeipräsidium. Die Bullen nahmen mich in die Mangel, weil sie glaubten, ich wüsste, wo mein Mann steckte. Der glatzköpfige Kommissar warf einen Stapel Fotos vor mir auf den Tisch. »Hier, guck dir das an«, zischte er. Auf einem Porträtfoto war Antonia, so hieß das Opfer, zu sehen. Eine aufblühende Schönheit mit langem, dunklem Haar. Auf einem anderen Foto saß das Mädchen im Schlauchboot und winkte. Wahrscheinlich standen seine Eltern am Ufer und fotografierten ihre Tochter. Tobias war Antonia auf dem Schulweg gefolgt, hatte sie mit Chloroform betäubt und ins Auto gezerrt. Dann war er mit ihr in ein abgelegenes Waldstück gefahren, wo er sie vergewaltigt und ermordet hatte.
»Und das hier.« Der Beamte hielt mir ein anderes Foto so dicht vor das Gesicht, dass ich zurückweichen musste, um zu erkennen, was er mir zeigen wollte. Antonias Leiche, mit gespreizten Beinen und entblößtem Unterleib. Die Strumpfhose, mit der Antonia erwürgt worden war, hing um ihren Hals. Tränen schossen mir in die Augen. Angewidert drehte ich mich zur Seite, würgte, hätte fast auf den Linoleumboden gekotzt.
Dann war ich plötzlich Antonia, lief durch den Wald. Hinter mir ein Keuchen. Mit einem Mal packte mich eine Hand von hinten am Kragen. Schleuderte mich zu Boden. Mit der ganzen Kraft seines Körpers drückte mich der Fremde auf die Erde. Dicht an meinem Ohr sein Atem. Er stieß mir sein Knie zwischen die Oberschenkel, zwang meine Beine auseinander.
Ich kreischte. Kreischte so laut, dass der pensionierte Oberstudienrat im Erdgeschoss mit dem Besenstil an die Decke hämmerte. Als ich die Augen aufschlug, saß ich aufrecht im Bett. Mein Nachthemd klebte an meinem Körper. Mein Herz raste, ich japste nach Luft.
Ich musste raus hier. So schnell wie möglich. In dieser Wohnung, in der ich mit Tobias, diesem Schwein, zusammengelebt hatte, konnte ich nicht länger bleiben. Plötzlich wunderte ich mich, warum mir der Gedanke nicht früher gekommen war.
Etwa eine Stunde später schlich ich aus meiner Wohnung, um mir am Kiosk eine Zeitung zu besorgen. Getarnt mit einer dunklen Perücke, deren Locken mir tief ins Gesicht fielen. Dazu trug ich eine verspiegelte Sonnenbrille mit großen, runden Gläsern aus den Siebzigerjahren.
Im Treppenhaus war alles still. Für den Fall, dass vor der Tür wieder Journalisten lauerten, würde ich so tun, als sei ich nicht die Frau des Mörders, sondern eine Bekannte, die nach dem Rechten gesehen hatte.
Doch die Luft war rein. Ich ging ein paar Hundert Meter zum Kiosk am S-Bahnhof Savignyplatz, bei dem ich jeden Sonntagmorgen die Zeitung holte. Der Besitzer erkannte mich nicht. Meine Tarnung war offenbar perfekt. Ich beschloss, nun öfter mit der Perücke und diesem Monstrum von Sonnenbrille auszugehen.
Ich kaufte mir eine Tageszeitung und machte mich auf den Rückweg. Noch immer war die Luft rein. Auch im Treppenhaus war es noch immer still, sodass ich unbehelligt in meine Wohnung zurückkehrte.
Ich ging in die Küche, brühte mir einen Espresso. Tobias hatte die sündhaft teure, chromblitzende Maschine gekauft. Auch so ein Yuppie-Accessoire, mit dem er angegeben hatte. Essen konnte ich nichts. Schon seit Tagen nicht mehr. Meine Beckenknochen traten hervor, man sah jede einzelne Rippe. Mich störte das nicht. Ich hatte Wichtigeres zu tun, als zu essen. Lebte von schwarzem, ungesüßtem Kaffee und meinen Tabletten.
Ich setzte mich mit der Zeitung an den Küchentisch.
Nichts würde ich mitnehmen. Mir einen Nachmieter suchen, der diese Wohnung mit all dem kalten Designerschnickschnack übernehmen würde. Bloß weg damit. Das meiste hatte Tobias ausgesucht. Die Corbusier-Sessel aus Leder, die jede Empfangshalle geschmückt hätten, aber keine Gemütlichkeit ins Wohnzimmer zauberten. Und dann diese Einbauküche aus kaltem, gebürstetem Stahl, in der man beim Gemüseputzen fast ein schlechtes Gewissen bekam.
Lauter Möbel ohne Seele. Unsere Wohnungseinrichtung war ein Sammelsurium teurer Beutestücke kinderloser Yuppies. Eine Wohnung, die jederzeit als Motiv für Schöner Wohnen hätte herhalten können. Meine
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