Mein Mann der Moerder
Mischung aus Schlaftabletten und Alkohol. Frau Wilhelms fand sie tot in ihrem Bett, während ich in der Schule war. Ich weiß, es klingt grausam – aber ich konnte damals nicht einmal weinen, als ich an ihrem Grab stand. Ich war traurig und erleichtert zugleich. Das Leben war für meine Mutter eine Last gewesen. So wie ich. Und nun war sie von beidem erlöst. Ich zog in eine Wohngemeinschaft, bestand kurz darauf das Abitur mit der erstaunlichen Note von 2,0.
Der Sicherheit wegen und weil es damals gerade in Mode kam, fing ich an, Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Schnell sattelte ich um auf Germanistik. Doch ich hielt auch dieses Studium nicht durch. Mir fehlte die Kraft und auch das Geld. Deshalb schlug ich zu, als die PR-Agentur, bei der ich ein Praktikum gemacht hatte, mir eine feste Stelle anbot.
Ich verdiente schnell viel Geld und konnte mir endlich all die schönen Sachen kaufen, von denen ich früher nur geträumt hatte. Mein Kleiderschrank füllte sich mit teuren Designerklamotten und Handtaschen, für die ich, ohne mit der Wimper zu zucken, ein Monatsgehalt hinblätterte. Ich war etwas wert. Jeder sollte es sehen. Und zwar auf den ersten Blick. Niemand durfte wissen, dass ich die Tochter einer psychisch kranken Sozialhilfeempfängerin war. Deshalb brach ich alle Brücken hinter mir ab, meldete mich nie wieder bei Frau Wilhelms, obwohl ich ihr so viel zu verdanken hatte. Ich wollte meine Vergangenheit tilgen.
Als ich Tobias heiratete, genoss ich das Gefühl, es endgültig geschafft zu haben. Hatte ich ihn wirklich geliebt? Nein, ich hatte mich verliebt in die Vorstellung, die ich mir von diesem Mann gemacht hatte. Und von einem Leben mit ihm. Ich klappte das Album so heftig zu, dass die Deckel einen dumpfen Laut von sich gaben. Die restlichen Fotos würde ich mir nicht mehr ansehen. Unsere Urlaube auf Hawaii, im Fünfsternehotel mit Schampus am Pool. Die Shoppingtour nach Dubai. Alles langweilige Yuppieurlaube, mit denen Tobias mich überrascht hatte. Selbst seine Urlaubsbräune musste als Gradmesser für Erfolg herhalten.
Auch Tobias machte um seine Vergangenheit ein großes Geheimnis, redete so gut wie nie über seine Kindheit und Jugend. Ich wusste nur, dass sein Vater tot war. Zu seiner Mutter pflegte Tobias schon seit Jahren keinen Kontakt mehr und wollte nicht, dass ich sie kennenlernte. Insgeheim war ich froh gewesen, dass seine Familie ein Tabu war, weil ich dann auch nicht über meine Mutter zu reden brauchte. Heute fragte ich mich, was Tobias eigentlich zu verbergen gehabt hatte.
Ich nahm beide Alben und presste sie an meine Brust. Ich würde die Zeugnisse unserer gemeinsamen Vergangenheit jetzt gleich entsorgen. Weg war weg. Barfuß schlich ich die Treppen hinunter. Die blaue Altpapiertonne vor unserem Haus war schon fast voll. Doch an der linken Seite tat sich ein Spalt auf, der wie geschaffen war für die Fotoalben. Ich zwängte sie hinein, und als der Deckel einen Moment später zuschnappte, fühlte ich mich erleichtert. Der erste Schritt in ein neues Leben war getan.
Unbehelligt huschte ich zurück durchs Treppenhaus. Doch als ich gerade den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, hörte ich plötzlich Stimmen.
Ich spähte durch das Treppengeländer und sah, dass bei der arbeitslosen Bibliothekarin zwei Männer vor der Haustür standen. Ein großer Schlaks und ein kleiner Dicker.
O Gott, die Journalisten von heute Morgen. Gaben die denn nie auf? Unverschämtheit!
Zum Glück hatten diese Aasgeier mich noch nicht bemerkt. Leise schloss ich meine Tür auf. Das metallische Geräusch hallte verräterisch durchs Treppenhaus.
»Da ist sie!«, rief eine Männerstimme. »Los, runter. Frau Rabe, Frau Rabe!«
Ich stürzte in meine Wohnung und schlug die Tür hinter mir zu. Kaum war sie ins Schloss gefallen, bollerte eine Faust gegen den Holzrahmen. Durch das geriffelte Glas konnte ich schemenhaft die Umrisse des schlaksigen Typen erkennen. Dingdongdingdong! Er malträtierte meine Klingel. Was für ein Idiot! Glaubte der wirklich, ich würde ihm öffnen und artig Rede und Antwort über mein Leben stehen? Geistesgegenwärtig griff ich zum Telefon, das neben der Tür platziert war, und wählte die Nummer der Polizei.
»Hallo«, sagte ich so laut, dass die beiden mich hinter der Tür hören mussten. »Kommen Sie bitte schnell in die Mommsenstraße 450. Ich werde bedroht. Ein Mann hämmert mit der Faust gegen meine Tür. Ich habe große Angst.«
Schlagartig verstummten Klopfen und
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