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Mein Mann der Moerder

Mein Mann der Moerder

Titel: Mein Mann der Moerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind
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welche Richtung ich einschlug.
    Ich stieß mit einem Kind zusammen, das an der Hand seiner Mutter um die Ecke bog. Ohne mich zu entschuldigen, hetzte ich weiter, drehte mich nicht mal um, als die Mutter mir etwas hinterherrief. Rannte und rannte, bis meine Lunge schmerzte und ich einfach nicht mehr konnte. Keuchend stand ich auf dem Bürgersteig, hatte keine Ahnung, wo ich war. Schemenhaft erkannte ich Jugendstilfluchten, Kastanienbäume, Kopfsteinpflaster. Mein Hals war so trocken, dass er brannte. Mein Herz hämmerte.

    »Entschuldigen Sie bitte«, sprach mich ein junger Mann an.

    Sofort schnellte mein Puls wieder in die Höhe. »Lassen Sie mich in Ruhe!«, kreischte ich so laut, dass die Passanten auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen blieben und zu uns herübersahen.

    »Ich habe nichts getan!« Meine Stimme überschlug sich. »Ich kann nichts für meinen Mann, hören Sie. Ich kann nichts dafür!«

    Der Mann zuckte zusammen, ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er noch einmal. »Ich kenne Ihren Mann gar nicht. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass Sie da was an den Füßen hängen haben. Nicht, dass Sie darüber stolpern.« Der Mann nickte mir noch einmal zu und ließ mich stehen.

    Ich sah auf meine Füße hinunter. Tatsächlich hingen die Plastiktütchen in Fetzen an meinen Fesseln. Es war ein Wunder, dass ich nicht längst darüber gestolpert war. Mein Gesicht glühte. Beschämt sah ich auf, doch der freundliche Herr war nicht mehr zu sehen.

    Irgendwie musste ich den Weg nach Hause gefunden haben. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, ob ich in die S-Bahn stieg, zum Auto zurückfand oder mir ein Taxi nahm.
    Ich war so durcheinander wie nie zuvor in meinem Leben. Der Schock, ein Gefühlscocktail aus Wut, Verzweiflung, Trauer, Scham, Fassungslosigkeit und unbeschreiblicher Enttäuschung, vernebelte mir die Sinne. Krampfhaft versuchte ich, die Balance zu halten. Alles, an das ich geglaubt hatte, war falsch gewesen. Ich hatte auf Sand gebaut.

    Vielleicht hätte ich mich damals – bei der Polizei hatte man mir dazu geraten – in therapeutische Behandlung begeben sollen. Aber das hätte an meinem Selbstbild von der erfolgreichen Frau gekratzt, die alles im Griff hatte.

    Nachdem ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte, versagten meine Beine ihren Dienst. Ich rutschte auf den Boden, blieb in einer Art verunglücktem Schneidersitz im Dunklen hocken. Ich war am Ende. Selbst zum Weinen fehlte mir die Kraft. Ich musste Berlin verlassen. Eine Auszeit nehmen, vielleicht ein halbes Jahr. Ich würde eben eine Weile von meinen Ersparnissen leben, wenn die Agentur mir mein Gehalt nicht weiterzahlte. Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß. Irgendwann schlief ich ein.

    Als ich aufwachte, war es Nacht und ich kauerte noch immer auf dem Boden vor der Haustür. Ich stand auf, schleppte mich ins Schlafzimmer und ließ mich – so wie ich war – aufs Bett fallen. Mein Nacken schmerzte. Ich tastete im Dunkeln nach meinen Tabletten, drückte mir ein paar aus der Packung in die Hand, würgte sie ohne Flüssigkeit hinunter und schlief sofort ein.

    Erst gegen Mittag wachte ich auf, hatte geschlafen wie eine Tote. Traumlos, ohne dass die Bilder der Tat mich heimgesucht hatten. Vermutlich war das nicht nur den Tabletten geschuldet, sondern vor allem meiner grenzenlosen Erschöpfung.

    Als ich mich halb im Bett aufsetzte, den Rücken an das Gestell gelehnt, sah ich es sofort. Die Schubladen der Kommode neben dem Bett waren halb herausgezogen. Dabei war ich sicher, dass ich sie gestern nach dem Anziehen wieder geschlossen hatte. Schlagartig wurde ich wach, sprang aus dem Bett, lief ins Wohnzimmer. Auch die Schublade des Vertikos stand halb offen. Und die hatte ich doch gestern nicht einmal berührt.

    Es gab keinen Zweifel. Jemand war während meiner Abwesenheit hier gewesen. Die Balkontür war verschlossen. Und auch an der Haustür waren keine Einbruchspuren zu sehen. Ich lief zurück ins Schlafzimmer. In der Kommode hatte ich in einem chinesischen Seidentäschchen meinen Schmuck versteckt. Ich wühlte unter der Bettwäsche, glitt mit den Fingerkuppen über den zarten Seidenstoff, zog das Täschchen heraus und klappte es auf. Das schwere, goldene Gliederarmband, das ich mir von meinem ersten Gehalt gekauft hatte, mit Abstand das wertvollste Stück, das ich besaß, fiel mir in die Hände. Gott sei Dank. Auch all meine Ohrringe, Perlen, die

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