Mein Mann der Moerder
U-Bahn- und eine S-Bahn-Station in der Nähe. Zur Agentur würde ich vielleicht zwanzig Minuten brauchen.
In Gedanken richtete ich mir schon mein neues Leben ein. Ich müsste natürlich ganz von vorne anfangen, auf Flohmärkten nach ausgefallenen Stücken stöbern. Nur ein paar Möbel, die die Wohnung nicht erdrückten. Und Bücher würde ich mir kaufen. Bücher über Bücher. Tobias hatte meine, kaum dass ich sie gelesen hatte, bei amazon verhökert, weil sie zu viel Platz wegnahmen. Seine Bücher dagegen waren heilig, vor allem seine Krimis. Wahrscheinlich waren sie für ihn eine Art Lehrbuchsammlung gewesen, dachte ich zynisch.
Immer mehr Leute kamen, um die Wohnung zu besichtigen. Verstohlen musterte ich meine Konkurrenz. Ein intellektuell wirkender Typ mit Nickelbrille und ausgebeulten Jeans, der nicht aussah, als könne er sich die Wohnung leisten. Ein junges Paar mit Kind. Auch keine Konkurrenz. Für eine Familie war die Wohnung ein bisschen zu klein. Die ältere Frau, die den Makler, nachdem er ihre Fragen zum Lärmschutz erschöpfend beantwortet hatte, nun mit irgendwelchen Details zu den Nebenkosten nervte, manövrierte sich selbst ins Abseits. Vermutlich würde die dunkelhaarige Frau im roten Kostüm, die ihre Pumps in der Hand hielt, weil ihre Pfennigabsätze sich – mit oder ohne Plastikschutz – gnadenlos ins Parkett gebohrt hätten, meine stärkste Konkurrentin sein. Sie sah aus wie eine gut verdienende Karrierefrau ohne Mann und Kind. Vermieter liebten solche Frauen. Sie verdienten genug, zahlten pünktlich ihre Miete, engagierten Putzfrauen, die die Wohnung in Schuss hielten, waren viel unterwegs, machten keinen Lärm. Die Frau war jenseits der vierzig, würde also aller Wahrscheinlichkeit nach auch kein Kind mehr bekommen. Karrierefrauen wurden nur noch von Beamten geschlagen, für deren Einkommen der Staat garantierte. Alleinstehende Männer hatten in der Regel bei Vermietern schlechte Karten, weil sie Küche und Bad versiffen ließen. Wenn zwei Karrierefrauen sich um eine Wohnung bewarben, entschieden Gehaltshöhe und Aussehen. Blond schlug dunkel – so viel stand schon mal fest. Die Schnepfe konnte also gleich wieder abziehen.
Eine Wand im Wohnzimmer würde ich mit Büchern tapezieren. Schräg davor müsste ein bequemes Lesesofa stehen, von dem aus ich immer wieder ins Regal greifen könnte. Brauchte ich einen Tisch? Einen kleinen vielleicht, möglichst aus Glas. Holztische wirkten oft wie Barrieren. Ein Glastisch wäre dagegen so gut wie unsichtbar.
Ich war so vertieft in meine Pläne, dass ich nicht bemerkte, wie die anderen Interessenten sich im Wohnzimmer versammelten. Sie tuschelten, starrten mich an und schüttelten den Kopf. Selbst der Makler und die ältere Frau unterbrachen ihr Gespräch und sahen in meine Richtung. Am kalten Blick des Maklers erkannte ich, dass es keinen Sinn haben würde, einen Bewerbungsbogen auszufüllen. Und auch in den Gesichtern der anderen Leute las ich, dass sie wussten, wer ich war. Der Typ mit der Nickelbrille stand mit halb offenem Mund da, staunte mich an mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen, als sei ich ein gefährliches Tier im Zoo. Die Schnepfe im Kostüm hielt ihre Pumps dicht an den Körper gepresst wie einen Schutzschild. Der Makler beugte sich zu der älteren Dame hinab und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Die Frau nickte.
Es gab keinen Zweifel. Sie hatten mich erkannt. Alle. Aber wie war das möglich? In einer Millionenstadt wie Berlin? Oder bildete ich mir das nur ein? War ich verrückt geworden?
Raus hier. Ich drängte mich an den Leuten vorbei aus dem Wohnzimmer, wäre im Flur mit den Plastikschonern fast auf dem Parkett ausgerutscht. Polterte die Treppen hinunter. Meine Schritte hallten laut durch den Hausflur.
Unten auf dem Treppenabsatz lag der Berliner Express . Ich blieb stehen, bückte mich und hob die Zeitung auf. Die Überschrift: Mädchenmörder Tobias Rabe. Exklusiv: Sein Leben in Bildern. Seine Hochzeit. Seine Urlaube. Er flog mit seiner hübschen Frau zum Shoppen nach Dubai. Sonnte sich auf Hawaii.
Ich schnappte nach Luft, spürte das Pochen meines Herzschlags bis in die Kehle. Die Fotoalben! Auf der Suche nach Spuren aus unserem Leben hatten die Reporter die Altpapiertonne vor unserem Haus durchwühlt und waren auf die Alben gestoßen. Ich zerknüllte die Zeitung, pfefferte sie auf den Boden und lief den Hausflur entlang. Ich riss die Tür auf, lief hinaus auf die Straße, rannte, ohne darauf zu achten,
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