Mein Mutiger Engel
Seaton", erwiderte sie belustigt.
Ihre absurde Bescheidenheit amüsierte wiederum Nick. Bemerkte sie denn nicht, dass sich alle Männer im Raum nach ihr umdrehten?
Nachdem er sie Mr. Craces Obhut übergeben hatte, wandte er sich abrupt ab, aus Furcht, er könnte sich sonst überhaupt nicht mehr von ihr losreißen.
"Miss Cunningham, Sie sehen heute Abend wunderschön aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf." Mr. Craces Kompliment riss Katherine aus der Verwirrung heraus, in die Nicks plötzliches Erscheinen und sein ebenso plötzlicher Abgang sie gestürzt hatten.
"Vielen Dank, Sir", erwiderte sie, woraufhin der rundliche kleine Archivar strahlte.
"Mit wem kann ich Sie wohl bekannt machen? Ach ja … Lady Laithwaite und ihre Töchter. Charmante Mädchen und nicht so reizlos, dass Ihre Gesellschaft sie stören würde", fügte er spitzbübisch hinzu. "Hier entlang."
Auf dem Weg durch den Salon sah Katherine sich nach Nick um. Schließlich entdeckte sie ihn im Gespräch mit einer außerordentlich attraktiven jungen Dame mit kupferrotem Haar und einem prachtvollen Busen. Den sie auch gut zur Geltung bringt, dachte Katherine boshaft, während sie widerwillig die anmutigen Schultern und das gewagte Dekolleté bewunderte.
"Wer ist die Dame, die sich gerade mit Lord Seaton unterhält?", raunte sie Mr. Crace zu.
"Lady Camilla Wilde, die Nichte und Erbin des alten Lord Polkington. Eine auffallende Erscheinung, nicht wahr?"
Glücklicherweise konnte Katherine keine weiteren Fragen stellen, die unter Umständen ihre Eifersucht verraten hätten, denn in diesem Augenblick öffnete Heron die Doppeltür zum Speisezimmer und verkündete: "Es ist angerichtet, Euer Gnaden."
Nachdem Mr. Crace sie zu ihrem Platz auf halber Höhe der Tafel geführt hatte, machte er Katherine mit ihrem zweiten Tischnachbarn bekannt, einem hochgewachsenen, äußerst gut aussehenden jungen Mann.
"Mr. Roderick Graham, Miss Cunningham."
Wie sich herausstellte, stammte Mr. Graham aus Edinburgh und hatte als jüngerer Sohn seiner Familie Rechtswissenschaften studiert. Erst kürzlich war er von seiner ersten Londonreise zurückgekehrt.
"Was haben Sie in der Hauptstadt unternommen, Mr. Graham?", erkundigte sich Katherine.
"Ich habe viele Galerien und Museen besichtigt und mir wissenschaftliche Vorlesungen angehört. Daneben habe ich aus beruflichem Interesse mehrere Gerichtsverhandlungen besucht, ja, sogar eine öffentliche Hinrichtung in Newgate."
"Tatsächlich?", brachte sie mühsam hervor.
"Ja. Was für ein barbarisches Schauspiel! Ich bereute bald, gekommen zu sein, aber es herrschte ein solches Gedränge, dass ich buchstäblich feststeckte."
"Schrecklich!"
"Ihre Empfindsamkeit ehrt Sie, Miss Cunningham. Dennoch, dank meiner unvernünftigen Expedition durfte ich Zeuge eines außergewöhnlichen Vorfalls werden. Ein Verurteilter, der bereits am Galgen hing, wurde im letzten Augenblick vom Strang geschnitten und für unschuldig erklärt …" Er hielt besorgt inne. "Miss Cunningham, Maam! Hier, trinken Sie rasch einen Schluck Wein. Ich bitte vielmals um Verzeihung, es war höchst gedankenlos von mir, einer Dame von solchen Dingen zu berichten …"
Katherine nahm verschwommen wahr, dass er ihr ein Glas in die Hand drückte. "Danke sehr. Nein, keine Sorge, Mr. Graham, es geht mir gut." Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, verflog ihr Schwindelgefühl. Niemand sonst schien bemerkt zu haben, wie das Blut aus ihrem Antlitz wich. Niemand außer Nick, der sie über die halbe Tafel hinweg stirnrunzelnd beobachtete. Er stützte die Handflächen auf den Tisch, als wollte er sich erheben, doch als sie leicht den Kopf schüttelte, entspannte er sich. Daraufhin wandte sie sich wieder ihrem beunruhigten Tischnachbarn zu.
"Es lag nicht an unserem Gesprächsthema, Mr. Graham", schwindelte sie. "Mir macht bloß die Hitze ein wenig zu schaffen. Ich achte Sie dafür, dass Sie ein solches Schauspiel als barbarisch empfinden. Meiner Meinung nach sollte niemand sich scheuen, darüber zu sprechen. Wie könnten wir die Verhältnisse sonst je verbessern?"
Ihr leidenschaftlicher Ton schien ihn zu beeindrucken. Zu ihrer Verblüffung sagte er leise, doch voller Wärme: "Ich würde mich gerne mit Ihnen über weitere politische Themen unterhalten, Miss Cunningham, falls Ihnen daran liegt."
"Selbstverständlich, Mr. Graham. Aber nun müssen Sie mich entschuldigen, ich darf Mr. Crace nicht vernachlässigen."
Vielleicht habe ich Mr. Graham allzu sehr ermutigt,
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