Mein Mutiger Engel
weshalb ein Marquis mit einer unbedeutenden jungen Frau verheiratet bleiben sollte, die sich aus reiner Not mit ihm vermählt hatte.
Am Tag des Balls trugen Nicks neuer Kammerdiener Cuthbertson und Jenny die sorgfältig verpackte Abendgarderobe ihrer Herrschaft ins Schloss hinüber. Nick hielt es für das Einfachste, sich dort für diesen Anlass anzukleiden und anschließend den Rest der Nacht dort zu verbringen.
"Das macht es umso einfacher, Lady Fanny als meine Anstandsdame auszugeben", bemerkte Katherine. "Die Gäste, die hier übernachten, werden mich einfach für eine weitere Besucherin halten."
"Ja, das auch", bestätigte Nick vage, was Katherine verwunderte. Sie hatte angenommen, dies sei der Hauptgrund für seine Entscheidung.
Nach dem Mittagessen schloss sie sich mit Jenny in ihrem Zimmer ein, um sich ungestört auf den Ball vorzubereiten.
"Ich werde mich für zwei Stunden hinlegen und versuchen, zu schlafen", beschloss sie, obwohl sie wusste, dass sie kein Auge zutun würde. "Anschließend nehme ich ein Bad. Mein Haar wird schon rechtzeitig trocknen, meinst du nicht?"
Jenny rechnete nach. "Um wie viel Uhr beginnt das Dinner?"
"Um sieben. Lady Fanny möchte um halb sieben mit mir nach unten gehen."
"Dann haben wir reichlich Zeit", urteilte Jenny. "Ich sorge dafür, dass in zwei Stunden ein Badezuber und warmes Wasser heraufgebracht werden."
Mit Jennys Hilfe zog sich Katherine aus. Allein zurückgeblieben, legte sie sich ins Bett, fand jedoch keinen Schlaf. Sie pflegte am Nachmittag niemals zu ruhen, und da sie am Vormittag nichts Anstrengendes unternommen hatte, fühlte sie sich kein bisschen müde. Im Gegenteil, sie bebte innerlich vor Aufregung, Furcht und Vorfreude.
Würde Nick sie in ihrem neuen Gewand schön finden? Würde er mit ihr tanzen? Als älterer Sohn des Hauses hatte er die Pflicht, mit den rangältesten Matronen und den besten Partien unter den heiratsfähigen jungen Damen zu tanzen. Wenn er sich irgendeinem unbekannten Mädchen widmete, das seine Cousine unter ihre Fittiche genommen hatte, würde er bloß die Aufmerksamkeit der Gäste auf sie lenken. Genau das wollte sie vermeiden.
Hoffentlich würde man sie überhaupt zum Tanzen auffordern. Wie sie wusste, hatten viele Gäste die kurzfristige Einladung des Herzogs angenommen. Gewiss befanden sich ein paar junge Herren darunter, die nicht zu hochnäsig waren, um von der einfachen Miss Cunningham Notiz zu nehmen.
Nach einer Weile senkten sich ihre Lider. Sie fiel in einen unruhigen Halbschlaf, in dem ein Albtraum sie plagte. Nick, distinguiert, gut aussehend, jeder Zoll ein Marquis, tanzte mit zahlreichen wohlhabenden, stolzen jungen Damen, deren adlige Eltern wohlwollend dabei zusahen. Unterdessen saß Miss Cunningham bei den anderen Mauerblümchen, dankbar, wenn sie hin und wieder irgendein schüchterner Jüngling oder der Archivar des Herzogs auf die Tanzfläche führte.
20. Kapitel
Kurz nach halb sieben klopfte es an Katherines Tür. "Ich bin es nur", rief Lady Fanny schüchtern.
"Ich werde sie hereinlassen", sagte Jenny. "Früher oder später müssen Sie ja doch hinuntergehen."
"Ich weiß." Katherine holte tief Luft und stand auf, als ihre Anstandsdame eintrat.
Lady Fanny trug ein überraschend elegantes, wenn auch unauffälliges Kleid aus taubenblauer Seide. In der Mitte des Zimmers blieb sie stehen und warf die Hände in die Luft. "Du meine Güte! Katherine!"
"Stimmt etwas nicht?", stammelte Katherine. Sie hätte es wissen müssen – irgendetwas an ihrer Aufmachung war unschicklich oder nicht vornehm genug oder …
"Sie sehen hinreißend aus, einfach hinreißend! Ach, wenn man doch wieder zwanzig Jahre alt sein könnte."
"Danke sehr. Allerdings muss ich gestehen, dass ich die zwanzig bereits überschritten habe." Trotz ihrer Aufregung fühlte sich Katherine ein wenig aufgemuntert, ja, sie brachte sogar ein Lächeln zustande. "Übrigens gefällt mir auch Ihr Gewand außerordentlich gut, Lady Fanny."
Die alte Jungfer strich zärtlich über ihren seidenen Rock. "Ich habe eine Schwäche für Abendkleider und gönne mir jedes Jahr ein neues", raunte sie in einem Ton, als würde sie ein schweres Laster wie etwa Spielsucht beichten. "Aber Sie tragen ein wahres Kunstwerk, meine Liebe. Stammt es von einer Damenschneiderin aus Newcastle?"
"Ja, Nick hat sie mir empfohlen."
"Nein, so was!" Lady Fannys Miene wurde regelrecht spitzbübisch. "Er kennt natürlich alle eleganten Geschäfte. Wissen Sie, in jungen Jahren hat er es
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