Mein Mutiger Engel
Miene vor ihr stand.
21. Kapitel
"Graham", begrüßte Nick den anderen Herrn.
"Lord Seaton", erwiderte Mr. Graham in ebenso freundlichem, ebenso unnachgiebigem Ton.
"Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, ich werde Miss Cunningham zu ihrer Anstandsdame geleiten."
"Nicht nötig, Lord Seaton, das habe ich selbst gerade vor."
"Aber ich bestehe darauf."
"Ich auch."
Oh Gott! Was sollte sie bloß tun? Die beiden feindeten einander auf die denkbar höflichste Weise an. "Mr. Graham?"
"Ja, Miss Cunningham?"
"Könnten Sie mir freundlicherweise ein Glas Limonade holen?" Katherine schenkte ihrem Tanzpartner ein charmantes Lächeln.
"Selbstverständlich, Miss Cunningham, ich werde es Ihnen sofort zu Ihrem Platz bei Lady Fanny bringen", sagte er mit leichter Betonung auf dem Wort "sofort". Dann machte er auf dem Absatz kehrt und schob sich durch die Schar der Gäste, die den Tänzern zuschauten.
"Also wirklich, Nick!", zischte Katherine, während ihr Gatte sie in die entgegengesetzte Richtung führte. "Ich kam mir vor wie ein Knochen, um den sich zwei Hunde streiten."
"Dieser Schotte behandelt dich zu aufmerksam."
"Er ist nicht dieser Schotte", entgegnete Katherine, "sondern ein sympathischer junger Anwalt, der sich beim Abendessen höflich mit mir unterhalten und mich zu zwei Tänzen aufgefordert hat. Wenn du nicht willst, dass ich mit ihm spreche, hättest du mich nicht neben ihn setzen dürfen."
"Ich war nicht für die Sitzordnung zuständig."
"Offensichtlich nicht. Du hättest mir gewiss keinen Tischnachbarn zugeteilt, der deine Hinrichtung mit angesehen hat."
"Wie bitte?"
"Ja, er befand sich unter den Zuschauern. Aber ich glaube nicht, dass er dich wiedererkennen wird."
"Bist du deswegen bei Tisch so blass geworden?" Sie nickte, woraufhin Nick sie in einen Alkoven lotste. "Schon besser. Im Saal versteht man ja sein eigenes Wort nicht."
"Auf jeden Fall kann man sich dort schlecht im Flüsterton streiten", bestätigte Katherine bissig.
Lächelnd legte er einen Finger unter ihr Kinn. "Streiten wir denn?"
"Ich kann es nicht anders bezeichnen. Du fällst über mich her, nur weil ich die Gesellschaft eines untadeligen Gentleman … oh!" Nick erstickte ihren Protest, indem er den Kopf neigte und sie seelenruhig küsste, ohne sich um das Geschehen auf der anderen Seite des Vorhangs zu kümmern.
"Nick!" Hastig löste sich Katherine von ihm und trat einen Schritt zurück. "Man wird uns noch sehen."
"Seien Sie versichert, Miss Cunningham, falls ich Sie kompromittiert haben sollte, werde ich nur zu gerne Ihre Ehre wiederherstellen …"
Mit einem unterdrückten Wutschrei rauschte Katherine aus dem Alkoven. Nick machte keine Anstalten, ihr zu folgen, während sie sich aufgewühlt zu ihrer Anstandsdame begab. Dort wartete bereits Mr. Graham, der auch Lady Fanny ein Glas Limonade mitgebracht hatte.
Als Katherine sich näherte, sprang er auf. "Miss Cunningham. Und wo ist Lord Seaton?", fügte er stirnrunzelnd hinzu.
"Ich … wir … haben uns gestritten." Katherine nahm ihre Limonade und trank in durstigen Zügen.
"Wenn er …", begann der Anwalt aufgebracht, die Hände zu Fäusten geballt.
"Nein, nein!", beschwichtigte ihn Katherine, wobei sie ihm mit einer Geste bedeutete, wieder Platz zu nehmen. "Es ging bloß um eine … heikle Familienangelegenheit."
Diese Erklärung schien ihn nicht ganz zu befriedigen. "Darf ich Sie anschließend zum Souper geleiten?"
"Ja, danke schön, sehr freundlich von Ihnen."
Da gesellte sich ein weiterer hochgewachsener junger Mann zu ihnen. "Mein lieber Robert, willst du Miss Cunningham zum Tanzen auffordern?", rief Lady Fanny.
"Ja, das auch." Robert warf Katherine ein fröhliches Lächeln zu. "Aber davor würde ich gerne mit Ihnen soupieren, Miss Cunningham."
"Zu spät, Robert. Kennst du schon Mr. Graham?"
Nachdem die beiden Herren einander begrüßt hatten, schlug Robert vor, sich alle gemeinsam zum Souper zu begeben. "Cousine Fanny?"
"Nein, Robert, ich werde mich Lady Willingtons Gruppe anschließen."
Im Speisezimmer hielt Katherine nach Nick Ausschau. Er saß vor einem Teller mit hauchdünn geschnittenem Schinken und plauderte ungezwungen mit Lady Camilla, der rothaarigen jungen Dame. Katherine setzte ein blendendes Lächeln auf, dann ließ sie sich von Robert zu einem Tisch direkt vor den Augen seines Bruders führen. Anmutig nahm sie auf dem Stuhl Platz, den Mr. Graham ihr hinrückte, während die beiden Herren sich höflich um das Vorrecht stritten, sie zu
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