Mein mutiges Herz
to Heart gehörte es natürlich zu ihren Pflichten, solche Veranstaltungen zu besuchen und in den besten Kreisen zu verkehren. Doch als Tochter eines Barons fiel ihr das leicht.
Sie liebte ihren Beruf und schätzte die Unabhängigkeit, die er ihr bot. Zunächst waren ihre Eltern natürlich entsetzt über die Vorstellung, dass ihre zweiundzwanzigjährige Tochter den Wunsch hatte, einen Beruf zu ergreifen, aber da ihre Eltern gerne reisten und ständig unterwegs waren, hatte Lindsey darauf bestanden, dass sie dringend eine nützliche Beschäftigung brauchte. Am Ende hatte sie wie gewöhnlich ihren Kopf durchgesetzt.
Auch momentan bereisten ihre Eltern den Kontinent und überließen Lindsey der Obhut der älteren Schwester ihrer Mutter, Delilah Markham, Countess of Ashford. Lindsey hatte ihre Tante sehr gern, eine fortschrittlich denkende Frau, die mit sechsundvierzig ein reges Gesellschaftsleben führte und jeden Tag ihrer Witwenschaft genießen wollte.
Und das bedeutete im Grunde genommen, dass Lindsey tun und lassen konnte, was ihr gefiel.
Es war recht warm im Büro an diesem sonnigen Septembertag. Lindsey fächelte sich mit der Zeitung Luft zu und warf wieder einen Blick nach hinten in die große Halle, wo Thor sich gerade bückte, um einen weiteren Stapel Zeitschriften auf den Karren zu hieven. Er war immer einfach gekleidet, trug nie Weste, Krawatte oder steifen Kragen.
Als sie bemerkte, dass er den Gehrock abgelegt und das Hemd aufgeknöpft hatte, bekam sie große Augen und bestaunte seinen breiten Brustkorb mit den ausgeprägten Muskelwölbungen, die sich bis zu seinem flachen Bauch zogen. Der Schweiß lief ihm von der Stirn den sehnigen Hals hinunter, das dünne Hemd klebte an seinem prachtvollen Körper. Seine Schultern und Arme waren kräftig und muskulös, und als er sich umdrehte, sah sie das Spiel seiner Muskeln an Schultern und Rücken.
In Lindseys Magen setzte ein befremdliches Flattern ein. Das einzig Attraktive an diesem grobschlächtigen Barbaren war sein herrlicher Körper, der dem nordischen Gott zu gleichen schien, nach dem er benannt war. Und natürlich seine Augen, in die Lindsey kaum zu blicken wagte, um sich nicht darin zu verlieren – sie waren von einem unbeschreiblich tiefen Blau.
Höchst seltsam, dass ein Mann so umwerfend gut aussah und dabei in seinem Wesen so uninteressant und nichtssagend war.
Eine merkwürdige Mischung, die Lindsey irgendwie ungerecht fand.
Dennoch vermochte sie den Blick nicht abzuwenden, bis er sich umdrehte und sie dabei ertappte, wie sie ihn anstarrte.
Er hob den Kopf und fixierte sie mit seinen unbeschreiblichen Augen.
„Ich bin nicht salonfähig gekleidet“, stellte er seelenruhig fest. „Eine Dame würde den Blick abwenden.“
Lindsey hob das Kinn. „Und ein Gentleman würde sich nicht in aller Öffentlichkeit halb nackt ausziehen!“ Sie wirbelte ihren Drehstuhl herum, riss den Federhalter aus der Silberhülse, stieß ihn ins Tintenfass, um einen Satz zu streichen, und hinterließ eine Spur von Klecksen auf dem Papier.
Thor murmelte etwas in sich hinein und setzte seine Arbeit fort.
„Wie fühlst du dich?“
Erschrocken fuhr Lindsey auf, als ihre beste Freundin Krista Hart Draugr an ihren Schreibtisch trat. Sie war im Begriff zu entgegnen, sie habe sich recht wohlgefühlt, bevor Thor sich der Hälfte seiner Kleider entledigt hatte, besann sich aber eines Besseren. Kristas Frage bezog sich bestimmt auf die Auseinandersetzung mit dem Earl of Fulcroft und nicht auf Thor.
„Bessie berichtete mir von dem Auftritt des Earls“, erklärte Krista. „Schade, dass ich nicht hier war.“ Sie war größer als die meisten Männer, abgesehen natürlich von ihrem Gemahl und Thor. Mit ihren großen grünen Augen und dem goldblonden Haar war sie eine ausgesprochene Schönheit. Und in Leif hatte sie den idealen Ehemann gefunden. Das Paar hatte ein Söhnchen, mittlerweile neun Monate alt, das beide vergötterten, und bei Leifs augenscheinlicher Manneskraft würde sich wohl bald weiterer Nachwuchs einstellen.
Lindsey lächelte. „Mir geht es glänzend. Fulcroft wollte vermutlich nur Dampf ablassen.“
„Womit er dir auch gedroht hat, der Verlag steht hinter dir. Du musst keinen Widerruf schreiben, wenn du nicht willst.“
Lindsey dachte an Fulcrofts Drohung, in ihrer Vergangenheit herumzustochern, bis er etwas fand, womit er sie kompromittieren konnte. Diese Möglichkeit bestand, wie sie sehr wohl wusste. Sie war immer eigenwillig und rebellisch
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