Mein Name ist Afra (German Edition)
herausfordernd in die Augen, und für eine winzige Spanne von Zeit schienen nur diese Frau und dieser Mann auf der Erde zu sein, und es herrschte unter den anderen ein so vollkommenes Schweigen, daß ich meinte, diese seltsame Stille sehen und mit den Händen greifen zu können.
Und doch war ich blind an diesem heißen und trockenen Sommertag und sah nicht die lodernde Liebe zwischen diesen beiden Menschen, und ich war taub und konnte das sanfte Flüstern ihrer Herzen nicht hören. Ich konnte diesen Augenblick voller Ewigkeit zwischen all den schweigenden Menschen bei unserer Dorfschmiede nicht erkennen und nicht begreifen, und ich war doch der Mensch, der Richlint am nächsten und ihr wie eine Schwester war. Und es dauerte eine lange Zeit, bis ich die Liebe zwischen Richlint und Arpad wirklich sah und verstand, daß meine Freundin von mir fortgehen wollte.
In den folgenden Tagen und Wochen hütete ich mich davor, das Dorf mit seinen schützenden Zäunen zu verlassen, und auch meinen beiden Kindern und den jüngeren Mägden erlaubte ich nicht, sich zu weit von Pitengouua zu entfernen, denn die ungarischen Krieger durchstreiften auf ihren schnellen Pferden den ganzen Gau, und ich vertraute den beruhigenden Worten von Arbeo und dem Anführer der Reiterschar über die Freundlichkeit der Fremden nicht. Zu oft schon hatte ich davon gehört, daß die Ungarn auch im Freundesland junge Frauen und Kinder einfingen und sofort als Sklaven auf dem nächsten Markt verkauften, und keiner aus meiner Familie sollte ein so grausames Schicksal erleiden.
Aber nicht alle Menschen im Ambragau hielten sich vom Lager an der Lecha fern, Arbeo, Chuonrad und Wichard besuchten den Ungarnführer des öfteren und luden Arpad sogar auf die Burg am Meierberg zu einem großen Fest mit ausgiebigem Essen und Trinken, und manche unserer Männer tauschten und handelten Waffen, Schmuck und Sattelzeug mit den ehemaligen Feinden und bewunderten deren Reiterkünste. Sogar der dicke Händler vom Bodinse, der einmal im Jahr mit seinem Karren voll Wein und Gewürzen durch unser Gebiet fuhr und eigentlich ein sehr vorsichtiger Mensch war, hatte das Lager der fremden Krieger besucht und dort seinen gesamten Vorrat verkauft, und als er an diesem Abend in der Dämmerung zusammen mit Richlint und seinen beiden Sklaven im Dorf eintraf, lobte Hildeger den ungarischen Anführer für seine Großzügigkeit und Gastfreundschaft über alles.
Es verwunderte mich nicht, daß Richlint den alten Händler bei Justina getroffen und mit ihm nach Pitengouua zurückgekehrt war, denn sie war in diesen Tagen sehr viel außerhalb unseres Weilers unterwegs und achtete nicht auf meine Ängste und Vorhaltungen. Entweder mußte sie bestimmte Kräuter sammeln, die sie unbedingt zum Färben benötigte, oder ihr dringendes Verlangen, unsere schwarzhaarige Heilerin Justina im alten Gut zu besuchen, war so übermächtig, daß es nicht aufgeschoben werden konnte, bis die Ungarn den Gau wieder verlassen hatten. Es nützte nichts, wenn ich ihr die mannigfaltigen Gefahren vorstellte, die auf dem Weg ins nahe der Lecha gelegenen Weinland auf eine einsame Frau warteten, und wenn ich sie davor warnte, einem dieser wilden Männer schutzlos in die Hände zu laufen und mißbraucht oder sogar getötet zu werden. Sie weigerte sich entschieden, einige Knechte zu ihrem Schutz mitzunehmen und lachte mich nur aus.
„Behüte du nur Ella und Agilolf, Afra!“ sagte sie zu mir, „ich bin eine erwachsene Frau und sorge selbst für meine Sicherheit! Bei Justina draußen wird mir nichts geschehen, denn die heidnischen Ungarn fürchten und verehren unsere Freundin wegen ihrer Heilkräfte und dem einsamen Leben, das sie mit ihren Tieren führt, und sie meiden das alte Gut und werden uns in Frieden lassen!“
Oft wartete ich jetzt am frühen Morgen umsonst auf meine Freundin und mußte allein zum Melken in den Stall oder zum Weben in den Grubenkeller gehen, denn ich konnte Richlint weder in der alten Hütte am Hollerbusch noch sonst irgendwo im Dorf finden, und wenn wir an manchen Abenden bei Most und süßen Fladen im Meierhof beisammen saßen und mein Vater Wezilo uns Geschichten von früher erzählte, dann wurde Richlint schon sehr bald müde und zog sich in ihre eigene Stube zurück.
Sie hatte sich in diesen Tagen sehr verändert, meine Richlint, und mir fehlte unser tägliches Beisammensein und die vertrauensvollen Gespräche zwischen uns Frauen, denn sie wich mir aus und wollte nicht
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