Mein Name ist Afra (German Edition)
Kränze lagen sie in ihrem Gesicht, und die steile Furche auf ihrer Stirn, die ihre Miene früher so lebendig erscheinen ließ, hatte sich vertieft und wirkte zuweilen ernst und streng.
Ohne viel Worte geleitete Justina uns zum römischen Badhaus in der Mitte des Hofes, wo sie nach einem alten und liebgewordenen Ritual ein warmes Bad mit duftenden Kräutern vorbereitet hatte, und ich sah die Freude in ihren Augen glänzen, nach dem langen, einsamen Winter wieder mit uns beisammen zu sein. In den letzten Jahren hatte es nicht viele Zusammenkünfte von uns drei Frauen gegeben, denn als Meierin von Pitengouua und Mutter von zwei Kindern konnte ich mich nicht weiter so frei und ungebunden verhalten wie ein junges Mädchen und ganze Tage im welschen Hof verbringen, und nur Richlint hatte unsere alte Freundin manchmal besucht und ihr bei der Arbeit mit der Ziegenherde geholfen.
Justina´s Sohn Riwin verbrachte Wochen und Monate bei seinem Vater auf der Dornau, und für seine Mutter war es zu anstrengend, zu Fuß bis in weit entfernte Dörfer oder zu entlegenen Höfen zu wandern, um dort zu helfen und zu heilen, und auch die sonntäglichen Kirchgänge zum Dorf fanden immer seltener statt. So war ihr Leben im verfallenen welschen Gutshof einsam und still geworden, nur die geliebten Tiere waren ständig bei ihr, und wie so häufig bei älteren Leuten erzählte Justina jetzt viel von vergangenen Zeiten und erinnerte sich lebhaft an die Jahre, in denen sie selbst ein kleines Kind gewesen war und ihre italische Mutter noch gelebt hatte. Sogar Worte aus ihrer Kinderzeit fielen ihr wieder ein, weich und sanft klingende Silben der uralten Muttersprache aus einem fernen, warmen Land jenseits des schneebedeckten Gebirges, und Justina murmelte mit ihren Tieren nur noch in dieser Sprache und summte versonnen fremdartige Wiegenlieder vor sich hin.
An diesem letzten Wintertag des Jahres 955 aber, an dem schon warme Winde wehten und der kommende Frühling sich erahnen ließ, an diesem Tag sprach Justina im Badhaus in unserer Sprache, und sie redete ernst und eindringlich mit Richlint und mir und bat uns, die alte Freundschaft zu erneuern und zu festigen. „Du mußt Afra endlich die Wahrheit erzählen, Richlint, und du mußt ihr alles berichten von Arpad und deiner Liebe zu ihm, und von euren gemeinsamen Plänen für die Zukunft! Und du, Afra, du wirst zuhören und schließlich dein Herz öffnen für die Worte deiner Freundin, wenn es dich auch schmerzt und du nicht alles verstehst, was sie dir sagt! Die Zeit des Schweigens und der Kälte zwischen euch soll heute zuende gehen, für immer und ewig, und mit dem reinen Wasser in dieser steinernen Wanne soll alle Eifersucht und Trauer von euren Körpern weggespült und vergessen werden, denn wir drei Frauen brauchen all unsere Kraft und weibliche Stärke, um gemeinsam dieses Jahr voller Wandlungen zu bestehen!“
Und als wir ausgestreckt im warmen Wasser lagen, tief den Duft von Justina´s Blüten und Kräutern atmeten und unsere Glieder sich langsam entspannten, da erzählte mir Richlint alles über ihre Liebe, und endlich war ich nicht mehr blind und taub wie in den vergangenen Monaten, sondern begann meine Freundin zu erkennen und zu verstehen.
Während meine Augen die bunten Fische und die seltsamen Fabelwesen an den über und über bemalten Wänden des Baderaums betrachteten, ging meine Seele mit Richlint´s leisen Worten auf Wanderschaft, und ich erlebte den Augenblick, an dem sie Arpad gegenüber stand und ihn als ihren einzigen Mann erkannte, und ich ritt mit ihr und dem Geliebten heimlich in der Nacht zu den Ambrahöhlen und erfuhr dort von einer Liebe, die trunken vor Glück und schwindelig machte und die restliche Welt vergessen ließ. Mit Trauer im Herz und einer Lüge auf den Lippen verließ ich mit meiner Freundin am frühen Abend die warme Meierstube und die geliebten Menschen dort, und ich schlich mit ihr still und leise aus dem Dorf, um in die starken Arme von Arpad zu sinken und darin die Einsamkeit meines bisherigen Lebens zu vergessen. Hinter meinem Rücken und dem von Richlint fühlte ich die anzüglichen Blicke der Knechte und Mägde auf unseren Körpern, ihr neugieriges Geraune und boshaftes Getratsche tönte überlaut und schmerzhaft in ihren und meinen Ohren, und die süßlichen und falschen Worte von Liutbirc klebten wie lästiges Harz auf uns und ließen sich nicht abwaschen. Ich spürte die grausame Verzweiflung von Richlint über den Verrat an unseren toten
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