Mein Name ist Afra (German Edition)
lieber an die Herausforderungen des anbrechenden Tages denken wollte. Aber er sah noch einmal all die leblosen Männer mit ihren unnatürlich verdrehten Gliedern und den starren, blicklosen Augen auf der Erde liegen, hörte das grauenerregende Brüllen der erneut gegen die Stadttore anstürmenden Krieger und dazwischen die qualvollen Stimmen von Verletzten, die sich kriechend und strauchelnd zwischen den stampfenden Hufen der Pferde, den Schwertern der angreifenden Reiter und den spitzen Pfeilen der Verteidiger in Sicherheit zu bringen suchten, sah am Boden hilflos strampelnde Rösser mit gebrochenen Beinen und tiefen Wunden im Fleisch, mit lautlosem Schmerz in den vor Verwunderung weit aufgerissenen treuen Augen, und diese Bilder und Laute der vergangenen Kampftage schnürten ihm die Kehle zu und wollten nicht weichen. Bei der Belagerung der Stadt war ein guter Freund gefallen, Anführer eines Trupps wie er selbst, und als nach dem schrecklichen Tod eines ihrer Führer die ungarischen Krieger voll Angst zu flüchten begannen und die Stadtbewohner schon ein triumphierendes Geheul anstimmten, mußte er seine eigenen Leute mit Geißelhieben unerbittlich vorwärts treiben, damit sie den Kampf nicht aufgaben.
Wut und Trauer beherrschten die Gedanken des Mannes, während er auf dem Hügel neben seinem Pferd stand, und als er über den Verrat der bairischen und schwäbischen Grafen und Herzöge an der gemeinsamen Sache nachdachte und Tränen um die getöteten Freunde in seinen Augen standen, da wuchs der Haß in ihm an, heiß und stark, und er verfluchte mit lauter Stimme den König mit all seinen Gefolgsmännern und ballte die Faust gegen sie und ihren christlichen Gott, obgleich er selber ein Christ war.
Und doch war nicht alle Hoffnung auf den Sieg verloren, denn einen Freund gab es noch unter den bairischen Fürsten des Königs, und dieser hatte die Ungarn vor dem anrückenden Heer gewarnt und ihnen die Anzahl der Krieger und ihre Marschrichtung verraten. Am heutigen Tag sollte die Entscheidung fallen und das Königsheer den zahlreicheren ungarischen Kriegern unterliegen, heute würden sie die Truppen von hinten angreifen und in der gewohnten Kesselschlacht vollständig aufreiben, reiche Beute und zahllose Gefangene machen und den selbstherrlichen König zur Aufgabe und zu neuen Verhandlungen zwingen. Das Gesicht des Mannes entspannte sich, als er an den sicheren Sieg und den von seinen Herrschern versprochenen Triumph und Reichtum dachte, und das Bild einer lachenden Frau mit goldbraunen Augen und gesegnetem Leib schob sich vor das Grauen der vergangenen Tage und erfüllte ihn mit neuer Hoffnung.
„Dieses Pferd wird uns in die Heimat tragen, Geliebte,“ flüsterte er fast unhörbar, „in die weiten, grünen Steppen unter dem unendlichen Himmel, geradeso, wie ich es dir versprochen habe, und unser Kind wird dort in Frieden leben!“
Doch das unberechenbare Kriegsglück lag an diesem heißen Tag im August nicht bei den angreifenden Ungarn, sondern auf Seiten des Königs und seiner Herzöge und Grafen, die einig und stark waren, und kein einzelner Mann vermochte allein mit seiner Wut und Trauer, mit seiner Kraft und seinem Willen das endgültige Schicksal der Reiterkrieger aufzuhalten.
Viele lange Stunden unter den heißen Strahlen einer gnadenlosen Sonne waren vergangen, und der Mann versteckte sich auf einer Anhöhe im Dickicht von Büschen und Sträuchern vor den unerbittlich nach flüchtenden oder verletzten Ungarn suchenden Blicken der Feinde. Er war allein, denn sein schöner, graubrauner Hengst mit der dichten Mähne lag voller Blut und mit heraushängendem Gedärm unter all den leblosen Leibern von Menschen und Tieren in der Senke des Flusses begraben, hilflos und ohnmächtig hatte der Mann das grausame Ende des Tieres durch einen scharfen Schwerthieb in den ungeschützten Bauch erlebt, und es blieb ihm nichts, als um sein eigenes Leben zu rennen. Helm und Krummsäbel hatte er beim Kampf verloren, die hinderliche Rüstung beim Laufen abgenommen und weggeworfen, und nur der lederne Köcher mit den Pfeilen baumelte noch auf seinem Rücken und der Bogen aus Holz und Horn hing über seiner Schulter. Der Schweiß lief in dunklen Strömen über sein Gesicht und die bloßen Arme, tränkte Hemd und Beinkleider und vermischte sich mit dem Staub der Erde und dem roten Blut der getöteten Gegner. Die Augen des Mannes waren tiefschwarz vor Schmerz und Verzweiflung, ohne jede Hoffnung oder Glauben an den Sieg, und nur
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